Am Montagabend sind im Norden Londons zwei Jugendliche unabhängig voneinander erschossen worden. Sie sind das 47. und das 48. Opfer von Tötungsdelikten in der Stadt seit Anfang Jahr. Sollte das so weitergehen, würde London dieses Jahr die höchste Mordrate seit 2005 verzeichnen. Für SRF-Grossbritannien-Korrespondent Martin Alioth ist das «besorgniserregend».
SRF News: Ist London in den letzten Jahren ein gefährliches Pflaster geworden?
Martin Alioth: Die Zahlen sprechen für sich. Letztes Jahr verzeichnete London 116 Gewaltverbrechen mit tödlichem Ausgang. Dieses Jahr sind wir jetzt schon bei nahezu 50. Diesen Januar starben so acht Leute in London, im Februar 15, im März 22 und im noch jungen April bereits drei.
Die beiden Jugendlichen wurden in den Quartieren Tottenham und Walthamstow getötet. Gehören diese zu den besonders gefährlichen Gebieten?
Das kann man so sagen. Es sind Quartiere, die von ethnischen Minderheiten geprägt und relativ arm sind. In diesen Quartieren und ganz besonders – man darf das oft aus politischer Korrektheit nicht so laut sagen – unter der schwarzen Minderheit blüht auch die Bandenkriminalität. Da spielen Banden, die in den Drogenhandel verwickelt sind, eine grosse Rolle. Die Gewalt ist stark von Stichwaffen geprägt. Die beiden letzten Opfer wurden zwar erschossen, aber das Hauptproblem sind Messer.
Sind die Banden der Hauptgrund für den Anstieg der Kriminalität in London?
Nicht für den Anstieg. Es gibt sie schon lange. Die grossen Unruhen, die 2011 namentlich in London stattfanden, waren auch von Banden geprägt.
Die Bestände bei der Polizei wurden abgebaut.
Es gibt bei einem derart komplexen gesellschaftlichen Problem natürlich weitere Ursachen. Ein Punkt ist ganz bestimmt die Sparpolitik der letzten acht Jahre, die von der Zentralregierung kommt. Bei der Polizei wurden die Bestände abgebaut, und soziale Dienste für gefährdete Jugendliche wurden zusammengestrichen.
Führt das zu Diskussionen in der britischen Politik?
Natürlich. London wählt noch immer links, also Labour. Die meisten Stadtteile werden also von Unterhaus-Abgeordneten vertreten, die in der Labour-Partei sind. Diese nehmen die Gelegenheit wahr, auf die Regierung einzudreschen. Sie werfen ihr Kaltherzigkeit und soziale Kälte vor, weil sie sowohl Sicherheitsmassnahmen als auch soziale Dienste abbaue.
Ist es denn so einfach?
Nein. Die heutige Premierministerin Theresa May hat in ihrer Zeit als Innenministerin die Durchsuchung von verdächtigen Jugendlichen auf der Strasse ohne dringenden Anlass gestoppt, weil das zu Spannungen zwischen den Minderheiten und der Polizei führte. Und jetzt ist das Thema wieder auf dem Tapet. Es stellt sich die Frage, ob mit mehr Kontrollen diese Messer-Kultur eingedämmt werden könnte. Also kann man es als Regierung eigentlich gar nicht recht machen.
Das Gespräch führte Miriam Knecht.