Der Nationale Volkskongress, Chinas Parlament, tagt zur Zeit in Peking. Die etwa 3000 Abgeordneten werden alle fünf Jahre von lokalen Volkskongressen der Provinzen, autonomen Regionen, Städten sowie der Volksbefreiungsarmee entsandt. Eines der wichtigen Themen – zwar nicht offiziell – sind die Ernennungen innerhalb des obersten Kaders Ende Jahr. SRF-Korrespondent Pascal Nufer sprach darüber mit dem Asien-Experten Jude Blanchette.
Was sind die Meilensteine beim diesjährigen Volkskongress?
Jude Blanchette : Das kommende Jahr wird für die Zukunft Chinas sicherlich eines der bedeutendsten sein. China ist auf dem Weg, politische Spielregeln umzusetzen, die wir ausserhalb Chinas als selbstverständlich erachten. Präsident Xi Jinping hat seit seiner Machtübernahme 2012 gezeigt, dass er bereit ist zu verändern, akzeptierte Normen auszudehnen und Grenzen auszuloten. Der Volkskongress wird ein wichtiger Parameter dafür sein, wie die chinesische Agenda für das kommende Jahr sein wird, speziell natürlich die Agenda von Xi Jinping.
Es wird auch interessant sein zu sehen, wie China auf die innenpolitischen Probleme reagiert. Stichworte sind da Strukturreformen, Schulden, der Immobilienmarkt. Aus internationaler Optik ist es sicherlich wichtig zu erfahren, wie China gedenkt, mit dem Stahlsektor umzugehen. Die USA und die EU haben wiederholt darauf hingewiesen, dass sich die staatlich geförderte Stahlproduktion in China für sie auf dem Weltmarkt nachteilig auswirke.
2017 werden in China wichtige Weichen gestellt.
Für Xi Jinping sind das die primären Punkte der Reform-Agenda. Nicht Liberalisierung, nicht Öffnung, nicht Märkte für externe Unternehmen. Wichtig wird deshalb seine mit Spannung erwartete Rede am Volkskongress sein. Ende letzten Jahres wurde bekannt, dass er der Kern der Top-Führung der kommunistischen Partei ist. Ich gehe davon aus, dass wir viel über Xi Jinping als den Kern der Führungsspitze und dessen Agenda hören werden. Das wird ein Hinweis darauf sein, dass Xi Jinpings Macht zunimmt oder zumindest von vielen Menschen im System akzeptiert wird. Das ist also ein wichtiger Parameter, wenn wir in diesem Jahr Rückschlüsse auf die Führungsnachfolge ziehen wollen.
In westlichen Ländern gäbe es jetzt so etwas wie Wahlkampf. In China kommen aus der obersten Führungsriege höchstens Signale. Kann man daraus schon ablesen, wer das kommende starke Gremium sein wird?
Ja und nein. Ich denke, es ist unfair zu sagen, dass die chinesische Politik eine Black Box ist. Es gibt viel, was wir nicht wissen, was wir nicht wissen können. Es ist also ein bisschen verfrüht zu sagen, wer im ständigen Komitee sein wird, wer aufsteigen wird in die Top-Führungsebene. Aber eines ist offensichtlich: Wir sehen eine Umgestaltung der Führung.
Die chinesische Politik ist keine Black Box.
Wir beobachteten zum Beispiel eine Umbesetzung in der Regulierungsbehörde der Banken. Dazu gibt es ständige Gerüchte über Liu He, einen wichtigen Berater von Xi Jinping. Wird er ins Politbüro aufsteigen? Deshalb ist es wichtig, öffentliche Veranstaltungen genau zu beobachten. Ich denke, wir werden an diesem 19. Volkskongress Antworten auf diese Fragen bekommen. Aber es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass dies immer noch ein kommunistisches System ist. Da gibt es in der Regel keine Nachfolgeregelung, die sauber ist.
Der Volkskongress ist, um in westlichen Kategorien zu sprechen, das Parlament. Wie viel Macht hat dieses Parlament wirklich in China?
Die Funktion des Volkskongresses ist es, alle Mitglieder des Zentralkomitees zusammenzubringen. Dieses ist in der Theorie die höchste Regierungsbehörde. Der Volkskongress kann Änderungen an der Parteiverfassung vornehmen. Wichtig ist aber auch, dass er über die Zukunft der chinesischen Führung entscheidet. So wird unter anderem der neue Generalsekretär der KP ausgewählt.
Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.
Es geht hier aber sicher nicht um eine völlig offene Debatte, bei der jeder unabhängig seine Stimme abgeben kann. Vieles ist vorgespurt. Aber trotzdem haben wir in den vergangenen 20 Jahren gesehen, dass sich die Parteileitung nur durchsetzen kann, wenn sie die Mehrheit des Volkskongresses hinter sich vereinen kann. Überraschungen sind deshalb nicht ausgeschlossen.
Das Gespräch führte Pascal Nufer. Übersetzung: Cornelius Jehle.