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Volkskongress in Peking Das Riesenreich China ist mit sich selbst beschäftigt

China will die USA überholen und zur Wirtschaftsmacht Nummer eins werden. Doch das Wachstum werde in diesem Jahr nur 6 bis 6.5 Prozent betragen, sagte Premier Li Keqiang bei der Eröffnung des Nationalen Volkskongresses. Im ehrgeizigen China ist das bescheiden: Vor acht Jahren betrug das Wachstum fast elf Prozent. «NZZ»-Korrespondent Matthias Müller erklärt, wie die Kommunistische Partei ein Aufbegehren der Bevölkerung verhindern will.

Matthias Müller

China-Korrespondent, NZZ

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2009 trat der studierte Ökonom (geb. 1969 in Ebingen/D) in die «Neue Zürcher Zeitung» ein und arbeitete zunächst im Wirtschaftsressort. Seit Februar 2015 berichtet Matthias Müller als China-Korrespondent aus Peking.

SRF News: Wie haben Sie die Eröffnungsrede von Premier Li Keqiang erlebt?

Matthias Müller: Auffallend war, wie häufig das Wort «Risiko» fiel, stark bezogen auf den Zustand der Wirtschaft. Neu oder überraschend war das nicht. Schon das Statistische Amt hat kürzlich darauf hingewiesen, dass China vor schweren Zeiten stehe. Chinesen sind aber pragmatisch, so sagte auch Li: Wir sind stark genug, um diese Probleme zu bewältigen.

An der Ostküste liegen unglaublich wohlhabende Regionen. Ihnen geht es oft besser als weiten Teilen Europas.

Ich habe nun die fünfte Rede von Li bei der Eröffnung eines Volkskongresses erlebt. So klar wie heute hat er die Probleme noch nie definiert – obwohl es Anfang 2016 wirtschaftlich nicht viel besser ausgesehen hat. Li hat Schwachpunkte dargestellt und Probleme aufgezeigt, auf die China ausserhalb des kurzfristigen Konjunktur-Horizonts zusteuert.

Noch immer sind es 6 bis 6.5 Prozent Wachstum. Sind das nicht Sorgen auf hohem Niveau?

Abgesehen davon, dass wir nicht wissen, ob diese Zahlen stimmen: Innerhalb des Landes gibt es ein riesiges Gefälle. An der Ostküste, von Peking bis runter in die Provinz Guangdong, liegen unglaublich wohlhabende Regionen. Ihnen geht es oft besser als weiten Teilen Europas. Richtung Westen oder Nordosten des Landes sind die Gegensätze zwischen arm und reich aber enorm sichtbar.

Bisher bestand ein Deal zwischen der Kommunistischen Partei und der Bevölkerung: Wir machen euch reich und ihr redet dafür politisch nicht mit.

China hat das Problem, dass es auch in den kommenden Jahren relativ hohe Wachstumsraten braucht, um mehr Menschen aus der Armut zu befreien und die wachsende Mittelschicht zu befriedigen. Neue Arbeitsplätze sind zwingend, um die Bevölkerung bei Laune zu halten.

Gibt es Druck auf die Regierung, diese Probleme in den Griff zu bekommen?

Bisher bestand ein Deal zwischen der Kommunistischen Partei und der Bevölkerung: Wir machen euch reich und ihr redet dafür politisch nicht mit. Obwohl die chinesische Führung ja behauptet, es gebe eine Demokratie – aber nicht im westlichen Sinn. Insofern ist der Druck für die Regierung spürbar, dass sie Wachstum schaffen muss.

Wenn ein kleineres Unternehmen in China Geld braucht, ist das schwierig. Das Finanzwesen ist undurchsichtig. Will man dem entgegenwirken?

Li hat einen grossen Teil seiner Rede darauf verwendet, das Problem der kleinen und mittelständischen Betriebe anzusprechen. Er hat auch Lösungsansätze angeboten. Das war ein sehr positiver Aspekt seiner pragmatischen, praxisorientierten Rede.

Der Handelsstreit mit den USA trifft China deutlich schwächer als es noch vor fünf bis zehn Jahren der Fall gewesen wäre.

Ein Beispiel sind steuerliche Entlastungen oder weniger hohe Beiträge auf die Sozialversicherungen für die Betriebe. Und sie sollen künftig auch von staatlichen Grossbanken Kredite erhalten. Diese haben bisher vor allem die Staatsbetriebe finanziert. Es ist aber ein langer Weg bis dahin.

Welche Rolle spielt der Handelsstreit mit den USA bei den wirtschaftlichen Problemen Chinas?

Dieser trifft China deutlich schwächer als es noch vor fünf bis zehn Jahren der Fall gewesen wäre. Denn die Binnenwirtschaft hat eine immer grössere Bedeutung für die Gesamtwirtschaft. Aber wenn sich das Umfeld wirtschaftlich verschlechtert und man parallel dazu einen Handelskonflikt hat, hat das Auswirkungen auf die Erwartungen der Chinesen. Und negative Erwartungen sind für die Wirtschaft immer schlecht.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

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