In Russland läuft die von Präsident Wladimir Putin vor zwei Tagen angekündigte Teil-Mobilmachung auf Hochtouren. «Es gibt bereits aus dem ganzen Land Videos von Gruppen von Männern, die aufgeboten werden», sagt der frühere SRF-Russland-Korrespondent David Nauer.
Ein russisches Exilmedium berichtet, in Wahrheit wolle der Kreml eine Million Mann mobilisieren.
«Man hat den Eindruck, dass der Kreml so richtig aufs Tempo drückt bei der Mobilmachung.» Und offenbar setzt er auch auf Masse: Es gibt Anzeichen, dass deutlich mehr als 300'000 Mann eingezogen werden sollen. «Ein russisches Exilmedium berichtet, in Wahrheit wolle der Kreml eine Million Mann mobilisieren», so Nauer. Ob das stimme, wisse er allerdings nicht.
Es gibt Meldungen von Leuten, die ein Aufgebot erhalten haben, die gar nie im Militär waren und zum Teil sehr jung oder sehr alt sind.
«Aber Fakt ist: Es werden auch sehr viele Männer einberufen, die eigentlich gar nicht zu den Kategorien gehören, die eingezogen werden sollen.» Ursprünglich hatte der Kreml kommuniziert, dass nur Männer, die bereits Militärdienst geleistet haben, einrücken müssten.
«Es gibt aber viele Meldungen von Leuten, die ein Aufgebot erhalten haben, die gar nie im Militär waren und zum Teil sehr jung oder sehr alt sind.»
Er habe von einem 17-Jährigen, aber auch einem 62-Jährigen gehört. Und auch von Leuten mit Krankheiten. «Es gibt Informationen, wonach Studenten in Hörsälen direkt eingesammelt und junge Männer von der Polizei angehalten und gleich aufgeboten werden.»
Dies seien einzelne Anekdoten, so Nauer. «Aber man kriegt insgesamt den Eindruck, dass der russische Staat wirklich jeden packt, den er in die Finger kriegt.»
Der Kreml will, so scheint es, offenbar vor allem arme Leute und Nicht-Russen an die Front schicken.
Es seien aber nicht alle Regionen gleich betroffen: «Es gibt Anzeichen, dass vor allem die Provinz betroffen ist, und die Regionen, in denen ethnische Minderheiten leben, etwa Sibirien oder der Kaukasus. Der Kreml will, so scheint es, vor allem arme Leute und Nicht-Russen an die Front schicken.»
Angst in Russland
Nachrichtenagenturen berichten von Schlangen an den Grenzen und ausgebuchten Flügen. Es scheint, als ob Russland jetzt erst begreift, dass in der Ukraine Krieg herrscht. «Viele meiner Bekannten in Russland sagten mir bisher stets, man spüre nichts vom Krieg», erzählt Nauer.
Die Russen lassen es, so sieht es momentan aus, einfach mit sich geschehen.
Das sei jetzt anders. «Sie haben Angst, dass ihre Kinder, Freunde und Männer eingezogen werden.» Die Mobilmachung sei überall Thema; in der U-Bahn, beim Einkaufen.
«Begeisterung dafür gibt es keine», bilanziert er. Es gebe aber auch keinen grossen Widerstand dagegen. «Die Russen lassen es, so sieht es momentan aus, einfach mit sich geschehen.»
Scheinreferenden der Besatzer
In den besetzten Gebieten in der Ukraine werden derweil fragwürdige Volksabstimmungen über den Anschluss an Russland durchgeführt.
Die Scheinreferenden sind völkerrechtswidrig, organisiert von der Besatzermacht, ohne Zustimmung der Ukraine, obwohl sie auf deren Boden – in Donezk, Luhansk, Saporischja und Cherson – stattfinden.
Russische Staatsmedien zeigen Bilder von Menschen, die Zettel in Wahlurnen werfen. «Es sind offenbar mobile Teams unterwegs, die von Haus zu Haus gehen und die Leute auffordern, ‹abzustimmen›», sagt Nauer. Der ganze Prozess dauere fünf Tage.
Der Kreml versucht, mit einer Art perversen Demokratieshow, seinen Landraub zu rechtfertigen.
«Die Russen bemühen sich, ein Bild einer normalen Abstimmung zu vermitteln», erklärt er. Aber das Ganze sei überhaupt keine normale Abstimmung.
«Was wir hier erleben, ist die zynische Imitation einer Abstimmung. Der Kreml versucht, mit einer Art perversen Demokratieshow, seinen Landraub zu rechtfertigen.»