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Von Diesel auf Velo und Schiff Warenlieferungen per Schiff direkt ins Stadtzentrum

In Strassburg werden Läden und Restaurants direkt per Schiff und E-Bike beliefert. Die Stadtregierung will Lieferungen mit Diesel-LKW bald untersagen.

Die Lieferketten der Konsumgesellschaft sind seit Jahren konsequent auf Lastwagentransporte auf der Strasse ausgerichtet. Die Folgen sind unübersehbar: Überall staut sich der Strassengüterverkehr – auf Schnellstrassen gleichermassen wie in den städtischen Zentren.

Die Energiekrise, der Klimawandel und die Pflicht, auf fossile Treibstoffe zu verzichten, stellen die Logistikbranche unter einen veritablen Stresstest. Während die einen klagen, stellen andere alles auf den Kopf.

E-Bikes statt LKWs

Das lässt sich im Zentrum von Strassburg beobachten. Dort sind Diesel-Camions in der Fussgängerzone der historischen Altstadt nicht mehr erwünscht.

Darum wird nun alles per Schiff auf dem Kanalsystem der Stadt angeliefert und die letzten Meter mit dem Velo verteilt.

Verladung
Legende: Waren werden vom Schiff auf das Quai verladen. Charles Liebherr

Ein Minikran hebt Palette auf den Bauch des kleinen Transportschiffs und stellt es auf das Quai am Fischmarkt im Zentrum von Strassburg. Bestimmungsort ist ein Supermarkt in der Fussgängerzone. Ein Mitarbeiter hebt die Kisten anschliessend mit dem Hubstapler auf den Gehsteig, der einige Meter höher liegt.

Mit ein paar Handgriffen baut anschliessend eine Velokurierin die Kiste um, in einen Anhänger mit Rädern, hängt diesen an ihr E-Bike und fährt los. Und schon beginnt das gleiche Spiel von vorne – mit der nächsten Ladung.

Die Kiste scheint unverändert zu bleiben. Sie wird einfach irgendwie berädert, dann kann man nur noch das Velo anhängen.
Legende: Urban Logistik Solutions hat ein System entwickelt, das aus Transportkisten mit wenigen Handgriffen einen Veloanhänger machen. Charles Liebherr

Ausgeliefert werden so Getränkekisten für Restaurants, Ersatzteile für einen Handwerksbetrieb, Bauteile für eine Baustelle, und Nachbestellungen für eine Detailhandelskette mit mehreren Läden im Stadtzentrum.

«Mit einer Schiffsladung können wir alle Warentypen ins Zentrum transportieren. Und auf dem letzten Kilometer liefern wir alles mit Bestimmungsort Altstadt mit unseren E-Bikes aus», erklärt Thomas Castan, der Gründer des Unternehmens Urban Logistik Solutions (ULS), welcher dieses Konzept entwickelt hat.

Alle sechs bis acht Minuten beginnt ein E-Bike mit der Auslieferung.
Autor: Thomas Castan Gründer von ULS

«Wir haben alle Prozesse optimiert. Alle sechs bis acht Minuten beginnt ein E-Bike mit der Auslieferung. Die effizienteste Liefertour berechnet eine spezielle Navigationssoftware. Wir bieten eine Gesamtlösung an.»

ULS ist ein Logistikunternehmen, spezialisiert auf Auslieferungen in städtischen Zentren, die an einem Fluss oder Kanal liegen. Angeliefert wird ausschliesslich per Schiff und feinverteilt per Velo. Dies übernehmen häufig Studierende im Stundenlohn, die sich so ihre Ausbildung finanzieren können. Angestellt sind sie aber von ULS.

Das Velo inklusive ULS-Kiste sind bereit zur Abfahrt.
Legende: ULS übernimmt die Auslieferung auf dem letzten Kilometer in die Fussgängerzone von Strassburg. Charles Liebherr

Das Konzept hat André Nouyrigat überzeugt. Er ist der Logistikverantwortliche einer der grössten Mühlen Europas. Sie liegt am Stadtrand von Strassburg, im alten Rheinhafen. Dort werden jeden Tag bis 1200 Tonnen Korn gemahlen. Beliefert werden Kunden in ganz Frankreich und auch im grenznahen Deutschland. Und natürlich werden auch Bäckereien gleich vor der Tür beliefert, im Zentrum von Strassburg.

Mittelalter-Lieferkette reloaded

Bisher erfolgte das ausschliesslich mit Lastwagen, gesteht André Nouyrigat von den Grands Moulins de Strasbourg. Seit diesem Jahr ist alles anders. «Früher waren für uns zwei bis drei Lieferwagen den ganzen Tag hindurch im Zentrum unterwegs. Heute liefern wir unsere Mehlmischungen an die 20 Bäckereien im Zentrum per Schiff und Velokurier, jeweils vormittags, jeden Tag, von Montag bis Samstag.

Autonom fahrende Schiffe gegen Fachkräftemangel

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Die europäische Binnenschifffahrt ist Teil der Lösung und Problem zugleich, wenn es darum geht, Verkehr von der Strasse aufs Wasser oder die Schiene zu verlagern. Es fehlen nämlich viele Frachtkräfte: Kapitäninnen, Matrosen und Lotsen.

Ein kleines Start-up aus Antwerpen bietet eine interessante Alternative. Es hat sich auf die Fernsteuerung von Frachtschiffen spezialisiert.

Im Kommandoraum von Seafar steuern ausgebildete Kapitäne bis zu sechs Frachtschiffe gleichzeitig. Sie geniessen regelmässige Arbeitszeiten und sind nicht mehr wochenlang unterwegs mit oder fern von der Familie.

Ein weiterer Vorteil liegt in der Wirtschaftlichkeit. Schiffe können so über längere Betriebszeiten navigieren. Zudem könnten auch kleinere Frachtschiffe unter 1'000 Tonnen ohne Personal an Board rentabel betrieben werden.

Seafar darf sein System wegen fehlender Gesetze für autonom fahrende Schiffe bis jetzt nur in Flandern nutzen. Die Firma hofft aber, bald auch in anderen Regionen diese innovative Technologie einsetzen zu können.

Geliefert wird täglich, weil auf diesem Weg bloss kleinere Mengen transportiert werden können: 250 Kilo Mehl pro Veloanhänger und nicht eine Tonne per Lieferwagen, so André Nouyrigat. Der Bestellprozess erforderte ein paar Anpassungen. Aber schon nach wenigen Wochen habe sich alles bestens eingespielt.

Eigentlich beliefern wir unsere Kunden in der Stadt heute einfach wieder so, wie das schon unsere Vorfahren taten.
Autor: André Nouyrigat Logistikverantwortlicher bei Grands Moulins de Strasbourg

Die Mühle von Strassburg liegt in unmittelbarer Nähe zum Lagerhaus von ULS, von wo aus auf den Wasserstrassen Lastschiffe ins Zentrum fahren. «Eigentlich beliefern wir unsere Kunden in der Stadt heute einfach wieder so, wie das schon unsere Vorfahren in früheren Zeiten taten, nämlich mit einem Kahn auf dem Wasser. Das verlangte etwas Anpassung, funktioniert aber hervorragend. Der Bäcker bestellt und wir liefern am Folgetag», erzählt André Nouyrigat mit einem Lachen im Gesicht.

Druck aus der Politik

Ganz freiwillig erfolgte die Umstellung allerdings nicht. Die Politik spurte entscheidend vor. Die Stadtregierung von Strassburg erklärte die Innenstadt als eine Zone, die bis in ein paar Jahren keine CO₂-Emissionen mehr ausstossen darf. Das verlangte Umdenken von allen Beteiligten, vor allem von den zahlreichen Lieferanten für Hotels, Restaurants oder Läden, aber auch für Private. Da kommt ULS wie gerufen.

Ein Zelt ist aufgestellt, darunter spricht eine Frau am Mikrofon. Drum herum stehen Menschen und hören ihr zu.
Legende: Bald verbietet die Stadtregierung Lieferungen per Camion ins Stadtzentrum. Darum unterzeichnete die Stadt ein Lieferabkommen mit ULS, um dessen Entwicklung zu unterstützen. Charles Liebherr

ULS könne hier die Stärke seines Transportkonzeptes voll ausspielen, so Thomas Castan. Ein Schiff und eine Handvoll Elektrovelos können bis zu 150 Lieferwagen ersetzen.

Viele Städte liegen an Flussläufen. Auf dem Schiff lassen sich grosse Gütermengen direkt ins Zentrum transportieren. Nach Strassburg bietet ULS seit kurzem seine Dienste nun auch in der Grossregion Lyon an. Das Unternehmen ist eine Kooperation mit dem grössten Logistikkonzern Frankreichs, Geodis, eingegangen, das weltweit für Kunden Waren bis vor die Haustür transportiert.

Die Transportlösung von ULS hat grosses Potenzial. Darum expandiert das Unternehmen rasch. «Viele Städte wurden ja nicht zufällig an Flussläufen gegründet. Das kommt uns heute zugute», so Thomas Castan. Der Gründer von ULS glaubt an eine grosse Zukunft der Binnenschifffahrt als Gütertransportlösung vom Meer bis fast vor die Haustüren in städtischen Zentren.

Nördlich von Paris entsteht eine Autobahn für Schiffe

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Karte des Gesamtplans des Projekts Seine-Nord.
Legende: Der Canal Seine-Nord Europe ist ein neues Herzstück für eine Gesamtsystem von vielen Tausend Kilometer Wasserstrassen zwischen Nordfrankreich und Norddeutschland. Canal Seine-Nord Europe

Nördlich von Paris bis an die belgische Grenze wird eine neue Wasserstrasse gebaut, der Canal Seine-Nord Europe.

Mehr als 100 Kilometer werden ausgebaggert entlang des Flusses Oise. 60 Strassen und Eisenbahnbrücken werden neu gebaut und sogar drei Brücken, über welche die Frachtschiffe fahren können, um Täler oder eine Autobahn zu überqueren. Die längste Brücke für Schiffe ist 1'330 Meter lang. Zudem werden vier neue Binnenhäfen entlang des Kanals in Betrieb genommen.

Der Canal Seine-Nord Europe wird für Frachtschiffe ausgebaut, die bis zu 220 LKW-Ladungen ersetzen können. Bis 2028 soll der Kanal fertig gebaut werden. Finanziert wird er zur Hälfte von der Europäischen Union.

Der Canal Seine-Nord Europa wertet ein weites Netz von 20'000 Kilometer Wasserstrassen in Nordfrankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland auf.

Die EU schreibt im Rahmen ihrer Klimapolitik vor, dass bis 2050 die Hälfte des Güterverkehrs auf der Schiene oder dem Wasser transportiert werden muss, wenn die Transportroute 300 Kilometer übersteigt. Die 27-EU-Staaten haben sich für den gleichen Zeitraum darauf verpflichtet, nicht mehr Treibhausgase auszustossen als im Referenzjahr 1990.

ULS unterscheidet sich entscheidend von anderen Logistikanbietern oder einem klassischen Velokurierdienst. Viele dieser Nischenanbieter haben sich auf die Auslieferung von bestimmen Warentypen spezialisiert, vor allem Kleinpakete oder Postlieferungen. ULS macht das Gegenteil.

«In diesem Geschäft gibt es keine zweite Chance. Wer bestehen will, muss riesige Volumen an Gütertransporten bewältigen können.» Nur so könne ULS überleben und eine geeignete Alternative zum Strassentransport werden, betont der ULS-Chef.

Das Boot liegt direkt vor dem EU-Parlament im Wasser.
Legende: ULS hat die Transportschiffe speziell herstellen lassen. Sie entsprechen genau den Anforderungen von ULS: Sie sind klein, wendig und flexibel einsetzbar. Eine kleines Schleppboot schiebt jeweils einen Transportkahn vom Hafen ins Zentrum von Strassburg, vorbei am Sitz des Europäischen Parlamentes. Charles Liebherr

Konkret bedeute das, dass ULS seinen Logistikpartnern versprechen muss, alle Typen von Waren via Schiff und Velo ins Stadtzentrum zu liefern. «Spezialisierung auf kleines Stückgut etwa wäre wirtschaftlich nicht tragbar.» Nur wer gleichzeitig 25 Tonnen Getränke, 10 Tonnen Mehl und 5000 Postsendungen verarbeiten kann, werde Bestand haben, so Thomas Castan.

«Wir sind eben die Sprinter unter den Transporteuren. Wir sind die schnellsten über die letzten hundert Meter. Schneller als alle anderen», witzelt Thomas Castan. Damit meint er auch, dass ULS auf seine Art und Weise ebenfalls ein Nischenanbieter bleiben wird, nämlich ein Spezialist für die Auslieferung in städtischen Zentren. Bis an den Stadtrand liefern andere, die Marathonläufer.

Eine innovative Arbeitsteilung, die bald alltäglich werden soll, auch ausserhalb Strassburg und Lyon. Es fehlt bekanntlich nicht an Städten und an ausgebauten Wasserwegen, die sich an diesen beiden Pionierstädten orientieren könnten.

International, 01.10.2022, 9:08 Uhr

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