- Die Kurden im Nordirak wollen sich vom Irak abspalten und einen unabhängigen Staat Kurdistan gründen. Am 25. September werden sie darüber abstimmen.
- International hat die Ankündigung des Referendums Kritik ausgelöst, denn viele befürchten, dass die Region damit ein weiteres Mal destabilisiert wird.
SRF-Nahostkorrespondent Philipp Scholkmann ist derzeit in Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. «Fast alle, mit denen ich geredet habe, sind für die Unabhängigkeit», sagt er. Es sei «der grosse kurdische Traum», einen eigenen Staat zu haben. Und dieser sei noch grösser geworden.
«Der Konflikt mit dem Terrorkalifat des IS ist nur ein paar Dutzend Kilometer von Erbil entfernt», erklärt Scholkmann. «Die Leute hier wollen nichts mehr zu tun haben mit der tiefen Zerrüttung in der arabischen Nachbarschaft.»
Parteien wollen Chance nicht verpassen
Mit dem Kampf gegen den IS haben die kurdischen Kämpfer viel internationalen Goodwill errungen. Nun treiben sie die Verfolgung ihrer eigenen Agenda voran.
Zwei Parteien dominieren das Kurdengebiet im Nordirak. Sie misstrauen sich in allem – aber nicht in der Überzeugung, dass die grosse Unordnung nach dem IS im Irak gewaltige Chancen für die Kurden eröffnet.
Sie verstreichen zu lassen, wäre ein historischer Fehler, sagen Politiker beider Seiten:
- Die eine Partei, die KDP von Masoud Barzani, hausiert schon länger mit der Idee einer Abstimmung über die Unabhängigkeit. Dies tat sie so lautstark, dass sie irgendwann einen Termin ansetzen musste, schon um ihrer Glaubwürdigkeit willen.
- Die andere Partei, die PUK von Jalal Talabani, schlug ein langsameres Tempo vor. Sie unterstellte Barzani zudem, er wolle mit der Abstimmung von der Wirtschaftskrise, der Korruption und dem eigenen politischen Versagen ablenken.
Annahme des Referendums gilt als sicher
Die Abstimmung über ein unabhängiges Kurdistan ist laut Scholkmann ohne Zweifel eine Provokation an die Adresse Bagdads, aber auch an die Nachbarn Iran und Türkei. «Die Komplexität dieser Weltregion will es, dass die beiden Nachbarstaaten gute Beziehungen zu den beiden kurdischen Parteien im Nordirak unterhalten; die Türkei zu Barzanis Seite, Iran zu Talabanis Seite.»
Aber einen unabhängigen Kurdenstaat in ihrer Nachbarschaft werden sie nicht dulden. «Der Konflikt ist programmiert», sagt Scholkmann. «Einfach so wird die Zentralregierung in Bagdad die kurdisch dominierten Gebiete nicht abtreten.»
Doch eine Abstimmung über kurdische Unabhängigkeit ist noch nicht die Abspaltung. Die Kurden versichern, sie würden den Dialog suchen. Daran, dass die Abstimmung ein Ja ergeben wird, zweifelt niemand. Und ein Ja wäre auf jeden Fall ein starkes Argument im Ringen um noch mehr Autonomie.