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Koriska-Flagge.
Legende: Die offizielle Flagge von Korsika: der schwarze Kopf mit dem weissen Stirnband. Reuters

Wahlen auf Korsika «Paris muss den Nationalisten entgegenkommen»

Der klare Sieg des Bündnisses der Nationalisten im ersten Wahlgang der Regionalwahlen auf Korsika ist keine Überraschung. Erstaunlicher seien die schlechten Resultate aller traditionellen Parteien, findet SRF-Korrespondent Charles Liebherr.

Der klare Sieg des Bündnisses der Nationalisten im ersten Wahlgang der Regionalwahlen in Korsika ist keine Überraschung. Die Liste von Gilles Simeoni, aktueller Präsident der Exekutive Korsikas und Spitzenkandidat des Bündnisses für Korsika (Pè a Corsica) erreichte einen Wähleranteil von 45,4 Prozent.

Noch vor ein paar Jahren wäre ein solch klarer Sieg der Nationalisten undenkbar gewesen. Zusammen mit der dissidenten Liste der radikalen Nationalisten von Core e Fronte (6,7 Prozent) erhalten sie sogar mehr als die Hälfte aller Stimmen.

Nach dem zweiten Wahlgang in einer Woche dürfen die Nationalisten also mit einer absoluten Mehrheit der 63 Sitze rechnen. Erstaunlicher als der Sieg der Nationalisten sind die schlechten Resultate aller traditionellen Parteien. Die Rechte trat mit zwei Listen an, die 15 Prozent, beziehungsweise 12,7 Prozent erreichten.

Die Liste der Regierungspartei La République en Marche schaffte nur gerade 11 Prozent der Stimmen. Die politische Linke und die extreme Rechte werden nicht mehr vertreten sein.

Nationalisten gewinnen alle Wahlen seit 2014

2014 schaffte der Advokat Gilles Simeoni die Wahl als Bürgermeister von Bastia. Die Stadt wurde bis dahin während 43 Jahren von der Familie Zucharelli regiert. Simeoni kämpft für einen Autonomie-Status von Korsika und strebt keine politische Unabhängigkeit von Frankreich an.

Bei den Regionalwahlen 2015 überzeugte er den anderen Flügel der Nationalisten, die Forderung nach politischer Unabhängigkeit von Frankreich während zehn Jahren auszusetzen. Das machte die Nationalisten zur stärksten politischen Kraft auf der Insel. 2017 gewannen die Nationalisten bei den französischen Parlamentswahlen drei von vier Sitzen in der Nationalversammlung.

Nationalisten versprechen politische Erneuerung

Eine Handvoll Familien dominierten bis 2014 die Politik in Korsika. Diese hatten teilweise über Generationen ein weites Netz von verbündeten Lokalpolitikern gesponnen, welche dafür sorgten, dass die Macht immer in der Hand weniger Clans verblieb.

Demo.
Legende: Im 2005 demonstrierten Tausende auf den Strassen von Korsika gegen die Pläne der Regierung. Keystone

Die Nationalisten versprachen, diese Strukturen zu zerbrechen. Das war ihre vielleicht wichtigste politische Zusicherung. Der Hunger nach politischer Erneuerung bei der Insel-Bevölkerung und der Wunsch der Klientel-Wirtschaft ein Ende zu bereiten, sicherten den Nationalisten grosse Stimmenanteile.

Wer ist die FLNC?

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Die Nationale Befreiungsfront Korsikas (FLNC) ist als Teil einer zersplitterten Separatistenszene seit fast 40 Jahren auf der französischen Insel aktiv. Korsika wurde in der Zeit immer wieder von Anschlagsserien erschüttert. Ziele waren dabei vor allem Villen reicher Franzosen. Bei Attentaten wurden auch Menschen im Auftrag der Mafia erschossen.

Junge Wähler für die Nationalisten

2014 erklärte die Untergrundorganisation FLNC (Front de Libération Nationale Corse) zudem, künftig auf einen bewaffneten Kampf für die Unabhängigkeit zu verzichten.

Diesem Gewaltverzicht gingen jahrelange Verhandlungen unter den Nationalisten voraus. Dies ermöglichte, dass insbesondere jüngere Wähler, ihre Stimme den Nationalisten gaben.

Viel Macht in der neuen Assemblée de Corse

Diese Wahlen sind so wichtig, weil die neue regionale Exekutive und das neue Parlament, die Assemblée de Corse, über erweiterte Kompetenzen und ein sehr viel grösseres Budget als die bisherigen Verwaltungseinheiten verfügen.

Die aktuellen beiden Departemente und der alte Regionalrat von Korsika fusionieren, was einmalig ist in Frankreich. Die Nationalisten werden also mehr Geld verteilen können – ihren politischen Prioritäten folgend. Diese liegen insbesondere in der wirtschaftlichen Entwicklung der Insel.

Korsische Fähre bei Sonnenuntergang.
Legende: Wirtschaftlich läuft es auf der Insel schlechter als auf dem französischen Festland. SRF/Liebherr

Das ist zentral, weil Korsika wirtschaftlich immer noch eine der schwächsten Regionen in Frankreich ist. Die Jugend-Arbeitslosigkeit liegt bei über 28 Prozent. Die neue Assemblée de Corse kann also politisch viel gewinnen, wenn sie in den kommenden Jahren eine gute Wirtschaftspolitik macht.

Heikle Verhandlungen über einen Autonomiestatus

Der klare Sieg der Nationalisten bei den Regionalwahlen bringen das Bündnis der Nationalisten in eine ideale Verhandlungsposition gegenüber der französischen Regierung.

Die Nationalisten wollen innerhalb von drei Jahren eine weitgehende politische und steuerliche Autonomie gegenüber von Frankreich aushandeln. Der Assemblée de Corse sollen auch gesetzgeberische Kompetenzen auf regionaler Stufe übertragen werden. Dazu gehört etwa die Einschränkung des Zweitwohnungsbaus für Personen, die nicht auf der Insel leben.

Die korsische Sprache soll zudem gleichwertig zu Französisch werden und die Einwohner von Korsika sollen einen Sonderstatus erhalten, der ihnen auf dem Arbeitsmarkt einen Vorzug garantiert. Schliesslich fordern die Nationalisten, dass die verurteilten Gefangenen der Untergrundorganisation FLNC ihre Strafe in Gefängnissen auf der Insel Korsika absitzen können.

Spannungen können rasch wieder zunehmen

Bisher zeigte die Regierung von Präsident Emmanuel Macron wenig Gehör für diese Forderungen. Der klare Wahlsieg schlägt aber ein neues Kapitel auf. Präsident Macron spricht nicht nur im Zusammenhang mit Korsika davon, den Regionen mehr Entscheidungsgewalt und Verantwortung zu übertragen. Im Falle von Korsika könnte die Regierung nun zeigen, was sie damit meint.

Denn die Regierung in Paris weiss natürlich, dass sie den Nationalisten entgegen kommen muss. Ansonsten nehmen die politischen Spannungen in Korsika rasch wieder zu. Und daran haben beide Seiten eigentlich kein Interesse.

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