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Wahlen in Algerien «Es gibt keine Anzeichen, dass die Proteste schwächer werden»

In Algerien wird ein neuer Präsident gewählt, nachdem Langzeitherrscher Abdelaziz Bouteflika im April nach 20 Jahren im Amt zurückgetreten ist. Seit Februar gehen regelmässig Zehntausende Menschen auf die Strasse, um gegen die Regierung und die Machtelite zu protestieren.

Die Demonstranten werfen der Führung und der Armee vor, die Wahl zu lenken. Auch in den Tagen vor der Wahl gingen die Demonstrationen in Algier weiter. Sie wollen den Urnengang stoppen. Maghreb-Korrespondent Daniel Voll ist in Algier und verfolgt die Geschehnisse.

SRF News: Wie haben Sie die letzten paar Tage in Algier erlebt?

Auffällig ist die grosse Polizeipräsenz. Blaue Einsatzwagen der Polizei stehen überall im Zentrum herum. Wichtige Gebäude wie die Hauptpost sind abgeriegelt. Auch an Kreuzungen oder zentralen Punkten wie dem Eingang zur Universität stehen Polizeiwachen. Sie sind bewaffnet und haben Schutzschilde. Man sieht auch immer wieder grosse Demonstrationen. Alle Leute werden kontrolliert, auch Journalisten.

Was bedeutet das für die journalistische Berichterstattung?

Die Journalisten wissen, dass sie unter Beobachtung stehen. Wenn sie als Ausländer für die Wahl akkreditiert sind, dann haben sie den Presseausweis und die Akkreditierung immer dabei. Manchmal sagen die Polizisten, dass man bestimmte Szenen nicht aufnehmen dürfe. Allerdings hat uns die Wahlkommission vorgängig gesagt, dass man alles aufnehmen dürfe. Ich habe es bis jetzt nicht erlebt, dass ein solches Verbot durchgesetzt wird.

Das Interesse der internationalen Medien an den Wahlen in Algerien ist gross. Wie war die Berichterstattung in Algerien selber?

In den algerischen Medien sieht man im Grunde genommen zwei Wirklichkeiten. Das nationale Fernsehen und die privaten Fernsehsender zeigen Leute, die für die Wahl demonstrieren.

Hinter den Protesten bleibt der Wahlkampf der fünf Kandidaten praktisch unsichtbar.

Regimekritische und soziale Medien berichten vor allem über Proteste gegen die Wahlen. Und hinter diesen Protesten bleibt der Wahlkampf der fünf Kandidaten praktisch unsichtbar.

Die Protestbewegung hat dazu aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren, weil sie nicht an freie und faire Wahlen glaubt. Was heisst das für den Wahltag?

Ich würde mit einer tiefen Stimmbeteiligung rechnen. Unklar ist, inwiefern das Regime diese Zahlen publiziert oder sie nachträglich noch frisiert, wie sie das in früheren Jahren getan hat. Allerdings sagt die Stimmbeteiligung nur etwas aus über den Rückhalt der Kandidaten. Selbst wenn die Stimmbeteiligung im Extremfall nur ein Prozent betragen würde; falls ein Kandidat über 50 Prozent der Stimmen erhält, wäre er gewählt. Sonst gibt es einen zweiten Wahlgang.

Wenn viele Algerierinnen und Algerier dem Boykottaufruf folgen und die Wahllokale meiden; können sie damit ein wirkungsvolles Zeichen setzen?

Das ist die Hoffnung dieser Boykottbewegung. Wenn die überwiegende Mehrheit nicht wählt, dann zeigt dies, dass der Rückhalt des neuen Präsidenten gering ist. Dies würde den Protesten mehr Gewicht geben. Bis jetzt gibt es keine Anzeichen, dass der Protest schwächer wird. Es gibt auch keine Garantie, dass der neue Präsident die Forderungen der Strasse erfüllt. Die Protestierenden wollen den Übergang zu einer Demokratie, die diesen Namen verdient. Dieser neue Präsident müsste sich auch gegen das bisherige Regime durchsetzen und das wird ihm zweifellos nicht leichtfallen. Denn alle fünf Kandidaten haben eine Vergangenheit in diesem Regime.

Das Gespräch führte Anneliese Tenisch.

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