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Wahlen in Brasilien Der Bolsonarismus hat bereits gewonnen

Diesen Wahlausgang hat man in Brasilien so nicht erwartet. Präsident Jair Bolsonaro übersteht die erste Runde der Präsidentschaftswahl und tritt Ende Monat zur Stichwahl gegen Herausforderer Lula da Silva an.

Lula da Silva kam auf lediglich 48 Prozent der Stimmen. Bolsonaro auf überraschende rund 44 Prozent. Überraschend darum, weil Wahlprognosen Lula einen Vorsprung von weit über 15 Prozentpunkten voraussagten.

Wirtschaftsaufschwung hält an

Warum Bolsonaro deutlich populärer ist, als alle Meinungsumfragen voraussagten, darüber wird Brasilien in den nächsten Tagen diskutieren. Tatsache ist, dass es der Wirtschaft im grössten südamerikanischen Land überraschend gut geht.

Sie wuchs in diesem Jahr um rund 1.5 Prozent – weit mehr als erwartet. Ausserdem sank die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit fast zehn Jahren.

Das merken die Menschen im täglichen Leben und viele verdanken dies Präsident Bolsonaro. Ein Sinnbild dafür ist der Bundesstaat São Paulo, das Herz der brasilianischen Wirtschaft. Hier liegt Bolsonaro sieben Punkte vor Lula.

Realistisch betrachtet müsste Lula die Stichwahl für sich entscheiden. Er muss zu seinen 48 Prozent ja nur noch einen kleinen Teil an Stimmen hinzugewinnen. Seine Strategie bis jetzt war das Zugehen auf die politische Mitte: Sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten ist der rechtsgerichtete ehemalige Gouverneur von São Paulo, Geraldo Alckmin. Mit ihm im Team zieht Lula ins sozialdemokratische Zentrum.

Aber anscheinend reicht das den rechten Wählerinnen und Wählern nicht und Lula wird sich überlegen müssen, wie er auch diese Wählerschaft ansprechen kann.

Ein verändertes Land

Der sogenannte «Bolsonarismus» ist viel stärker in der brasilianischen Gesellschaft verankert, als die Meinungsumfragen prophezeiten. Auch das Parlament ist mit den Wahlen konservativer geworden als bisher.

Seit Sonntagabend scheint in Brasilien nun alles wieder offen. Keinen Zweifel hingegen gibt es rund um die Figur Jair Bolsonaro. Viele Beobachterinnen und Beobachter qualifizierten seine überraschende Wahl vor vier Jahren lediglich als Protest gegen die korrupte politische Elite ab. Bolsonaro habe nur gesiegt, weil Lula damals im Gefängnis war.

Die eigentliche Botschaft nun ist eine andere: Bolsonaros Wahl 2018 war kein Versehen. Knapp die Hälfte der Bevölkerung will genau diese Politik der letzten vier Jahre und genau so einen Präsidenten wie Jair Bolsonaro es ist.

David Karasek

Journalist und Südamerika-Kenner, SRF

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David Karasek war 2021 und bis Juli 2022 Südamerika-Korrespondent von SRF. Davor war er als Produzent und Redaktor bei SRF 4 News tätig. Von 2015 bis 2018 lebte und arbeitete er bereits als freier Journalist in Kolumbien und berichtete aus Ländern wie Ecuador, Venezuela oder Kuba für mehrere Medienunternehmen. Er hat in Bogotá an der Universität Javeriana Politologie studiert und moderiert inzwischen das «Tagesgespräch» von Radio SRF.

SRF4 News, 03.10.22, 9:30 Uhr

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