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Wahlen in der Ukraine Die Frontstadt darf wieder an die Urne

Der Krieg in der Ostukraine dauert an, die Sicherheitslage aber ist besser geworden. Nun wird ein Präsident gewählt.

Tatjana Perewersewa ist eine unerschrockene Frau. Ihr feuerrotes Haar leuchtet in der Frühlingssonne, während sie auf dem Hauptplatz von Avdiivka ein Interview gibt. Perewersewa leitet das lokale Wahlkampf-Team von Präsident Petro Poroschenko.

Im Hintergrund dröhnt Gefechtslärm, Artillerie. Es ist wie das Grollen eines Gewitters. Dazwischen bellen hell Maschinengewehre.

Militärangehöriger auf Strasse.
Legende: Militärangehörige in Avdiivka: Seit Jahren ein alltäglicher Anblick. Keystone/Archiv

Wahlkämpferin Perewersewa gibt sich unbeeindruckt und redet einfach weiter. Der Krieg ist zur düsteren Begleitmusik geworden in Avdiivka. Keine ukrainische Stadt liegt so nahe an der Front, jahrelang wurde der Ort beschossen. Zahlreiche Häuser sind heute noch beschädigt, die Fenster vernagelt, die Bewohner geflohen.

Die Sicherheitslage ist inzwischen jedoch etwas besser. Avdiivka steht zwar noch unter Militärverwaltung, aber seit die ukrainische Armee die prorussischen Separatisten ein paar Kilometer weit zurückgedrängt hat, fallen kaum mehr Geschosse in Wohngebiete.

Strasse mit zwei Autos. im Hintergrund Wohnblöcke.
Legende: Der Ort hat sich in letzter Zeit verändert und ist lebendiger geworden. SRF/David Nauer

Die Stadt ist wieder sicher genug für ziviles Leben. So sicher, dass am kommenden Sonntag gewählt werden kann. Zum ersten Mal seit Kriegsbeginn. Wahlkämpferin Perewerseva erzählt: «Zu mir sind Leute gekommen mit Tränen in den Augen – so sehr haben sie sich gefreut darüber, dass endlich wieder Wahlen sind.»

Tatsächlich ist den Menschen diese Wahl wichtig. Oksana Titkowa, eine 46-jährige Büro-Angestellte sagt es so: «Wir fühlten uns als Bürger zweiter Klasse, weil wir nicht wählen durften. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt an die Urne können.» Für wen sie ihre Stimme abgibt, möchte Titkowa nicht sagen.

H$userblock in Avdiivka.
Legende: In der Stadt Avdiivka leben rund 35'000 Einwohner. SRF/David Nauer

Wahlkämpferin Tatjana Perewersewa dagegen unterstützt den amtierenden Präsidenten aus Überzeugung. Sie hält ihn für einen erfahrenen Staatsmann, der Stabilität garantieren könne. Doch sei es schwer, die Leute von Poroschenko zu überzeugen, sagt Perewersewa.

Avdiivka hat sich verändert in letzter Zeit. Die Stadt ist lebendiger geworden. Mehrere Geschäfte haben eröffnet, unter anderem ein Drogerie-Markt; Cafés und Restaurants empfangen wieder Gäste und auch die Kinder sind zurück. Vor einer Schule rennt eine Bande kleiner Buben im Kreis. Ganz in der Nähe sitzt Juri Wiktorowitsch auf einer Parkbank. Der 36-Jährige hat gerade seinen kleinen Sohn abgeholt. Was er von Poroschenko hält? Er verzieht das Gesicht. «Um nicht zu Fluchen, sage ich lieber nichts.»

Poroschenko bei einer Rede.
Legende: Präsident Petro Poroschenko will sein Amt verteidigen. In Avdiivka weht im aber ein rauer Wind entgegen. Keystone

Wie viele Menschen in Avdiivka wünscht sich Wiktorowitsch vor allem eins: Frieden. Und wie viele kann er sich erinnern, dass Poroschenko bei seinem Amtsantritt versprochen hat, dass der Krieg bald vorbei sei. Das Versprechen hat der Präsident nicht gehalten.

Wir haben uns damit abgefunden, dass die Armee hier ist. Aber so richtig Liebe empfinden wir nicht zu den Soldaten.
Autor: Juri Wiktorowitsch Bewohner Avdiivka

Ausgebrochen war der bewaffnete Konflikt 2014, weil prorussische Separatisten mit Hilfe Moskaus angefangen haben, Städte zu besetzen. Die Ukraine schickte die Armee – seither wird gekämpft. Dass Avdiivka auf der ukrainisch-kontrollierten Seite liegt, ist Zufall. Das Schwesterstädtchen Yassinovataya wird von den Separatisten kontrolliert.

Sperrgebiet an der ukrainisch-russischen Grenze.
Legende: Dass Avdiivka auf der ukrainisch-kontrollierten Seite liegt, ist Zufall. Das Schwesterstädtchen Yassinovataya wird von den Separatisten kontrolliert. SRF/David Nauer

Poroschenko nicht beliebt

Es ist also kein ethnischer Krieg: auf beiden Seiten der Front leben die gleichen Leute. Der junge Vater Juri Wiktorowitsch etwa hat vor dem Krieg in Donezk gewohnt, wo jetzt die Separatisten herrschen. Seine Frau lebte zeitweise in Avdiivka.

Der Krieg ist etwas Fremdes. Während sein Sohn gerade an ihm rumspringt, sagt Wiktorowitsch: «Wir haben uns damit abgefunden, dass die Armee hier ist. Aber so richtig Liebe empfinden wir nicht zu den Soldaten.»

Die Situation in Avdiivka ist nicht schwarz und nicht weiss. Sie ist grau. Die Ukraine hat die Front militärisch stabilisiert, aber die Herzen der Menschen im Donbass sind noch nicht alle gewonnen.
Autor: David Nauer SRF-Korrespondent

Damit bringt Wiktorowitsch die Haltung vieler Menschen im Frontgebiet auf den Punkt: Sie fühlen sich als Bürger der Ukraine, aber flammende Patrioten sind sie nicht.

So geht es etwa auch den beiden Rentnern Nikolai und Nikolai. Sie heissen gleich und sind beide über 80 Jahre alt. Wählen gehen wollen auch sie unbedingt, erzählen sie auf ihrem Spaziergang durch den Stadtpark. Aber Poroschenko die Stimme geben? Das kommt für die beiden nicht in Frage.

Gemälde von Poroschenko.
Legende: Am Sonntag stehen in der Ukraine Präsidentschaftswahlen an. Der aktuelle Amtsinhaber Poroschenko dürfte es nicht nur in der Ostukraine schwer haben. Keystone

Der bisherige Präsident streite nur mit Russland, sagen sie. Deswegen wollen sie Juri Bojko wählen. Bojko verfolgt eine klar prorussische Politik; er war kürzlich in Moskau und traf dort Premierminister Dmitri Medwedew. Wahlchancen hat er allerdings keine. Die politischen Gewichte in der Ukraine haben sich in den letzten Jahren verschoben. Der Krieg im Osten wird von den meisten Ukrainerinnen und Ukrainern als russische Aggression wahrgenommen. Russland gilt ihnen entsprechend als Feind – der Westen als Freund und Verbündeter. Nicht so Nikolai und Nikolai, die beiden Rentner aus dem Stadtpark.

Kaputte Wand eines Hauses.
Legende: Seit Jahren herrscht in der Ostukraine Krieg. Die Auswirkungen sind überall zu sehen. Keystone/Archiv

Sie unterstützen Juri Bojko, weil dieser mit Moskau verhandeln will. Nur so könne der Krieg beendet werden. «Hören sie die Musik wieder», sagt einer der Nikolais. Mit «Musik» meint er den Gefechtslärm, der durch den Park hallt.

Wir wollen wieder leben wie früher: ohne den Krieg.
Autor: Julia Walerewna Bewohnerin Avdiivka

Nicht alle nehmen die andauernden Kämpfe so gelassen wie die beiden alten Männer. Auf dem wichtigsten Boulevard von Avdiivka steht ein kleines Zelt, davor, mit einer dicken Beige Wahlzeitungen in der Hand, Julia Walerewna. Die junge Frau wirbt für den Populisten Oleh Ljaschko. Für sie ist das ein Job, um Geld zu verdienen, lässt sie durchblicken.

«Wir sind Geiseln von politischen Spielen»

«Früher habe ich in Donezk in einem Hotel gearbeitet, aber jetzt sind wir von der Stadt abgeschnitten», sagt Walerewna. In Avdiivka eine neue Stelle zu finden, sei so gut wie unmöglich. «Wir sind Geiseln von politischen Spielen. Ich hoffe, dass jemand Präsident wird, der all dem ein Ende bereitet. Wir wollen wieder leben wie früher: ohne den Krieg.»

Der Konflikt in der Ostukraine wird von aussen oft schwarz-weiss wahrgenommen. Die russische Propaganda behauptet, die Separatisten seien wackere Arbeiter, die sich gegen ein Kiewer Unrechtsregime wehren – ohne russische Hilfe, selbstverständlich. Aus ukrainischer Sicht fehlt das Verständnis dafür, dass es im Osten des Landes tatsächlich Sympathien gibt für Russland.

Die Situation in Avdiivka ist nicht schwarz und nicht weiss. Sie ist grau. Die Ukraine hat die Front militärisch stabilisiert, aber die Herzen der Menschen im Donbass sind noch nicht alle gewonnen. Zwar unterstützt niemand offen die Separatisten. Viele sind stolz und glücklich, an der ukrainischen Präsidentschaftswahl teilnehmen zu dürfen. Aber der amtierende Staatschef Petro Poroschenko hat wenig Freunde.

Zu gross ist der Frust über den nicht enden wollenden Krieg.

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