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Wahlen in Gujarat Das Bild des Wirtschaftsreformers Modi erhält erste Risse

Die Unterstützung aus Gujarat war dem indischen Premier jeweils gewiss. Doch jetzt regt sich der Groll.

Der indische Bundesstaat Gujarat gilt als die Hochburg der Regierungspartei von Premierminister Narendra Modi. Er war selbst über zehn Jahre lang Regierungschef in Gujarat und wurde 2014 als Premierminister gewählt, hauptsächlich weil er dem Bundesstaat die Wirtschaft angetrieben hat.

Lange galt die Wiederwahl seiner Partei in Gujarat beim Urnengang von morgen als sicher. Doch in den letzten Monaten wurde Modi erstmals öffentlich von einer breiten Schicht in der Bevölkerung kritisiert, denn die wirtschaftliche Entwicklung, die Modi Gujarat und ganz Indien versprochen hat, lässt grosse Teile der Bevölkerung auf der Seite.

Männer mit gelben Käpchen und Flaggen protestieren.
Legende: «Modi, wir werden Dir eine Lektion erteilen», drohen Demonstranten der einflussreichen Patidar-Kaste. Aaquib Nehal Khan

Etwa hunderttausend Demonstranten sind in Surat, der zweitgrössten Stadt Gujarats, zusammengekommen, um gegen Modis Wirtschaftsmodell zu protestieren. Auf ihren Motorrädern ziehen sie durch die ganze Stadt und legen den Verkehr lahm.

«Modi ist Weltmeister im Lügen», sagt ein Demonstrant. Er habe Arbeitsplätze versprochen, Entwicklung. «Doch in den zwanzig Jahren, in denen seine Partei hier an der Macht ist, hat sich die Situation für uns nur verschlechtert». Mit «uns» meint er die Patidar, eine Kaste der gehobenen Mittelklasse, die in Gujarat 16 Prozent der Bevölkerung ausmachen.

Mittelschicht fühlt sich verschaukelt

Als Premier versprach Modi 100 Millionen Jobs, doch geschaffen hat er in den letzten beiden Jahren weniger als die vorherige Regierung in derselben Zeitspanne. Das Nachsehen hat nun vor allem die aufstrebende Mittelklasse, die ihn 2014 unterstützt hat, wie die Patidars. «Meine Kinder haben gute Noten in der Schule, dennoch werden sie Mühe haben, eine Stelle zu finden. Es gibt nicht genügend Arbeitsplätze», so der Demonstrant weiter.

Ein junger Mann mit Handy und gelbem Käppi.
Legende: Für die tiefen Kasten gibt es Quoten für öffentliche Stellen. Nun fordern das die Patidar auch für sich. Aaquib Nehal Khan

Die Patidar verlangen nun Quoten für öffentliche Stellen und Studienplätze. Quoten wie sie seit langem Indiens schlechter gestellte Gesellschaftsschichten geniessen, um ihnen den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Dass nun auch die Mittelschicht solche Quoten fordert, ist kein Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs.

Porträtaufnahme von Hardik Patel.
Legende: Hardik Patel, Anführer der Patidar-Proteste. Er startete vor zwei Jahren den Widerstand gegen die Regierungspartei. Aaquib Nehal Khan

Keine Jobs trotz Wirtschaftswachstum

Die Quotendebatte ins Rollen gebracht hat vor zwei Jahren der 24-jährige Hardik Patel: «Modi ist ein Schwätzer, wenn er sagt, er habe in Gujarat Arbeitsplätze geschaffen.» Patel hat nicht unrecht. Denn unter Modi ist die Wirtschaft in Gujaraz zwar gewachsen, aber nicht stärker als vorher.

Der Bundesstaat hatte auch schon vor Modis Zeit ein starkes Wirtschaftswachstum. Er hat also einen bereits existierenden Trend fortgesetzt, und ihn nicht lanciert. Dieses Wirtschaftswachstum in Gujarat beruht vor allem auf kapitalintensiven Industrien, wie der Pharma etwa. Arbeitsplätze schaffen solche Unternehmen verhältnismässig wenig: Deswegen die Forderung nach den Quoten, deswegen der Protest.

«Quoten sind unser Recht», sagt Patel. «Wenn die Regierung uns nicht zuhören will, wählen wir Patidar die Opposition.» Damit würde der BJP, der Partei von Narendra Modi, eine wichtige Wählerbasis wegfallen, denn die Patidar haben während den letzten 20 Jahren stets zur Regierungspartei gehalten.

Regierungspartei gibt sich stoisch

«Dass man Leute zusammentrommeln kann, heisst nicht, dass sie dann auch den Wahlempfehlungen folgen», sagt Harshad Patel von der Regierungspartei BJP. Da mag er Recht haben: 100'000 Leute zu mobilisieren, ist in einem Land mit über einer Milliarde Menschen nicht allzu schwer.

Die Partei rechnet nicht mit einer Niederlage – im Gegenteil will sie sogar Sitze ausbauen. «Die Partei rechnet mit weiteren 30 Sitzen im Parlament, um 150 der insgesamt 182 Parlamentssitze in Gujarat zu besetzen.»

Bewohner des Dorfes Firuspur nehmen an einer Wahlveranstaltung von Jignesh Mevani teil.
Legende: Die Entwicklungsprogramme für Gujarat liessen die Landbevölkerung rechts liegen. Jetzt regt sich auch dort Protest. SRF/Thomas Gutersohn

Beobachter sind da weniger optimistisch. Nicht nur in der Stadt regt sich Widerstand, sondern auch auf dem Land trommeln Bauern zum Kampf gegen die Regierung. Einige Hundert haben sich im Dorf Firuspur zusammengefunden, um an einer Veranstaltung von Jignesh Mevani teilzunehmen, einem zweiten Protestführer in Gujarat.

Porträtaufnahme von Jignesh Mevani.
Legende: Protestführer Jignesh Mevani heizt den Bewohnern des Dorfes Firuspur ein. Aaquib Nehal Khan

«Modi sagt, in Gujarat gebe es 24 Stunden Strom und fliessendes Wasser für alle! Habt ihr das?», fragt er die versammelte Dorfgemeinschaft. Nein, ist die Antwort.

«Wasser und Strom haben wir nur acht Stunden pro Tag, sechs Tage die Woche. Damit können wir kaum unsere Felder bewirtschaften», sagt ein Bauer. Zudem seien die Preise für das Saatgut so hoch wie noch nie, ergänzt ein anderer Bauer.

Mittelmässige Grundversorgung

Die Entwicklungsprogramme für Gujarat, liessen die Landbevölkerung aussen vor. Bezüglich Kindersterblichkeit, Schulabbrüche, Lese- und Schreibfähigkeit oder der Gesundheitsversorgung von Frauen, schneidet Gujarat sehr mittelmässig ab, obwohl das Pro-Kopf-Einkommen des Staates zu den höchsten in ganz Indien gehört.

Was sind das für Entwicklungen, wenn sie nicht die Grundlagen abdecken, fragt diese junge Frau? «Die Schulgebühren sind gestiegen. Wir können es uns nicht leisten, weiterführende Schulen zu besuchen», sagt sie. Sie will nun Jignesh Mevani wählen – in der Hoffnung, er werde sie nicht vergessen, so wie sie Narendra Modi vergessen hat.

Frauen und Mädchen mit Kopftüchern drängen sich auf einem Balkon.
Legende: Trotz relativ hohem Pro-Kopf-Einkommen schneidet Gujarat bei der Gesundheitsversorgung von Frauen sehr mittelmässig ab. SRF/Thomas Gutersohn

Die Proteste stellen das Wirtschaftswunder Gujarat, das Narendra Modi landesweit proklamiert, in Frage. Zwar wächst die Wirtschaft in dem Bundesstaat stärker als in den meisten anderen Staaten, doch weder schafft sie es, die Grundbedürfnisse der Menschen auf dem Land abzudecken, noch generiert sie genügend Stellen in den Städten. Das Bild des Wirtschaftsreformers Modi bekommt erste Risse, und das ausgerechnet in seiner Heimat.

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