Fast alle Beobachter gehen davon aus, dass in Italien die rechten Parteien die nächsten Wahlen gewinnen und Giorgia Meloni neue Ministerpräsidentin wird. Vielerorts löst dies Unbehagen aus, denn ihre Partei, die Fratelli d'Italia, ist eine Nachfolgepartei der postfaschistischen Bewegung Italiens. Der Historiker Aram Mattioli ordnet ein.
SRF News: Giorgia Meloni wehrt sich gegen das Label postfaschistisch und argumentiert, beim Partito Democratico, der Mitte-Links-Partei, sage auch niemand, das sei eine postkommunistische Partei. Hat sie recht?
Das ist ein Teil einer Imagekorrektur. Es ist eine postfaschistische Partei. Vielleicht weniger sie selber. Aber in der Partei gibt es starke Kräfte, die immer noch dem Faschismus anhängen, die Mussolini verehren. Es gibt da ganz verrückte Beispiele. Ignazio La Russa, immerhin Vizepräsident des italienischen Senats, hat vor zwei Jahren vorgeschlagen, den Saluto Romano (Faschistengruss) einzuführen sowie die Festa della Liberazione (symbolträchtiger Feiertag zum Ende des Kampfes gegen Faschismus) abzuschaffen und durch einen Gedenktag für die Opfer von Covid zu ersetzen. Das sind alles Hinweise darauf, dass mit diesem Erbe noch nicht ein vollständiger Bruch stattgefunden hat.
Wenn Meloni ihre Partei als konservativ, pro-europäisch, pro-Nato positioniert und sich klar distanziert vom Antisemitismus, dann heisst das nicht, dass das für den ganzen Rest der Partei gilt.
Auf jeden Fall. Sie selber scheint sich sehr viel stärker an Viktor Orbans Ungarn zu orientieren. Und ich glaube, dass die Entwicklung eher in diese Richtung gehen wird, dass sie sich orientieren wird am Modell einer illiberalen Demokratie (wo Grundrechte von Minderheiten einschränkt werden). Und dieses Modell liegt im Moment auch im Gesetzesentwurf vor, das ein Präsidialsystem einführen will.
Auch bei Forza Italia sind noch stark illiberale Tendenzen vorhanden.
Der Präsident soll neue Funktionen erhalten und vom Volk gewählt werden. Heute wird er vom Parlament gewählt. Das wäre ein Bruch mit den Traditionen der parlamentarischen Republik, wie sie typisch war nach 1945.
Die Fratelli d'Italia pflegen Beziehungen zu neofaschistischen Organisationen. Gibt es keine klare Abgrenzung gegen Rechts?
Es gibt lokale Zusammenarbeit mit Forza Nuova, einer eindeutig rechtsextrem gewaltbereiten Partei. Es gibt sogar Wahlallianzen. Das zeigt, dass sich die Leute aus der italienischen Rechten untereinander kennen. Und für die Fratelli d'Italia heisst das, dass es an Abgrenzung fehlt.
Auch in den beiden anderen Rechtsparteien, der Forza Italia und der Lega, gibt es Exponenten, die sich nicht klar vom Neofaschismus abgrenzen. Gibt es programmatisch eine klare Abgrenzung zwischen den drei grossen Rechtsparteien, die nun ein Wahlbündnis eingegangen sind?
Es gibt punktuelle Unterschiede. Ich würde sagen, dass Forza Italia noch die gemässigste ist. Aber auch bei Forza Italia sind noch stark illiberale Tendenzen vorhanden.
Es gibt keine antifaschistische Rechtspartei, es gibt auch nicht eine liberal inspirierte Rechtspartei, sondern die sind illiberal orientiert.
Und das scheint mir überhaupt ein Problem der italienischen Rechten zu sein. Es gibt keine antifaschistische Rechtspartei, es gibt auch nicht eine liberal inspirierte Rechtspartei, sondern die sind illiberal orientiert. Das sieht man auch daran, wo diese Parteien im Europaparlament sitzen. Die Fratelli d'Italia sitzen in einer Fraktion mit dem polnischen PiS, der spanischen Vox, der Lega, der AfD und dem Rassemblement National. Das sind harte Rechtsparteien. Und umso erstaunlicher auch, dass sich Silvio Berlusconi wieder dazu hergibt, diesen Leuten zur Macht zu verhelfen.
Das Gespräch führte Franco Battel.