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«In Madagaskar herrscht Raubtierwirtschaft»
Aus SRF 4 News aktuell vom 07.11.2018.
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Wahlen in Madagaskar «Gewinnen wird der reichste Kandidat, nicht ein Programm»

Es gehe im Endeffekt darum, den grossen Reibach zu machen, prophezeit Marcus Schneider, politischer Beobachter.

In Madagaskar wird ein neuer Präsident gewählt. Es ist für die Insel im indischen Ozean eine Wahl der Superlative: 36 Kandidaten stellen sich zur Wahl, darunter einige hochkarätige Politiker. Für afrikanische Verhältnisse wird überraschend viel Geld für den Wahlkampf ausgegeben. Marcus Schneider leitet das Büro der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Madagaskar. Er sieht grosse Unterschiede zu einem Wahlkampf in Europa.

SRF News: Wie schätzen Sie diese Wahl angesichts der Ausgangslage ein?

Marcus Schneider: Es ist wohl die Wahl des Jahrhunderts. Wir haben noch nie in Madagaskar eine solche Wahl gehabt, in der vier Ex-Präsidenten und drei ehemalige Premierminister und viele Minister gegeneinander angetreten sind. Ob es aber tatsächlich ein Neuanfang ist, da bin ich eher skeptisch. Die Favoriten sind die alten Politiker, die das Land in den letzten zehn, zwanzig Jahren geprägt haben. Neue Gesichter gibt es keine.

Die einzigen Unterschiede zwischen den Kandidaten sind, dass es verschiedene Persönlichkeiten sind. Ansonsten gibt es keine grossen.

Die grössten Chancen gewählt zu werden, haben drei ehemalige Präsidenten. Warum gilt kein neuer Kandidat als Favorit?

In Madagaskar sind Wahlkämpfe sehr teuer. Man ist auf einen Apparat und auf Unterstützer in allen Regionen angewiesen. Für neue Kandidaten ist dies in kurzer Zeit sehr schwierig zu organisieren. Man braucht auch die Unterstützung der Medien, um überhaupt präsent zu sein. Die Einzigen, die eine Chance haben, sind die drei Grossen. Sie sind in der Breite des Landes präsent. Die neuen Kandidaten sind Kandidaten der letzten Minute.

Politische Entwicklung in Madagaskar

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Der Inselstaat vor Afrikas Ostküste wurde 1960 unabhängig von Frankreich. Seither gab es drei politische Umbruchsphasen und es wurde viermal eine neue Republik gegründet. Nach einem Putsch von 2009 wurde 2013 der jetzige Staatspräsident Hery Rajaonarimampianina gewählt. Bei den diesjährigen Wahlen stehen 36 Kandidaten zur Auswahl.

Wie unterscheiden sich die Drei mit den besten Chancen inhaltlich?

Es gibt nicht viele Unterschiede. Ideologische oder programmatische Entscheidungen oder dass man über Sachthemen diskutiert, wie man es sich aus Europa gewohnt ist, das kommt hier alles nicht vor. Es ist ein reiner Persönlichkeitswahlkampf. Es geht um das Charisma der Kandidaten und um gewisse Versprechungen. Die einzigen Unterschiede zwischen den Kandidaten sind, dass es verschiedene Persönlichkeiten sind. Ansonsten gibt es keine grossen.

Für Wahlkämpfe werden in Madagaskar Unsummen ausgegeben. Der letzte Präsident gab 2013 laut Studien der EU 43 Millionen Dollar aus. Dieses Mal sieht es nicht viel anders aus. Warum ist das so teuer?

Das hat mehrere Ursachen. Ein Grund ist die Infrastruktur des Landes, die in einem katastrophalen Zustand ist. Das Land ist ungefähr so gross ist wie Frankreich und die Benelux-Länder zusammen und es gibt keine Schnellstrassen. Um von einer Stadt in die andere zu kommen, braucht man teilweise Tage. Das bedeutet, dass man sehr viel investieren muss, um einen Wahlkampf in der Breite dieses Landes und auch mit dieser Unterentwicklung zu organisieren.

Die Wirtschaft des Landes beruht in erster Linie auf dem Raubbau der mineralischen Ressourcen.

Der zweite Grund ist die Qualität des Wahlkampfes. Hier ist es der Normalfall, dass die Kandidaten ganze Fussballstadien mieten. Man bietet 20 Minuten politische Rede und ungefähr fünf sechs Stunden Entertainment mit Sängern und Künstlern. Das ist teuer, wenn man ein Stadion mit 50'000 Leuten bespassen muss. Hinzu kommen auch die ganzen Gadgets, die Wahlkampf-Devotionalien. Das sind T-Shirts, Hüte, teilweise sind es auch Nahrungsmittel. Immer häufiger stellen wir fest, dass auch direkt Geld an die Leute verteilt wird.

Ein weiterer Grund ist, dass man versucht, die lokalen Eliten zu kaufen. Wenn man in einer bestimmen Region ein gutes Ergebnis erzielen will, muss man die lokalen Honoratioren kaufen, damit sie dafür sorgen, dass die Bevölkerung für einen stimmt.

Woher kommt das Geld für die Wahlkämpfe?

Das ist die Gretchenfrage. Die Leute, die in diese Kandidaten investieren, möchten einen gewissen Return. Sie machen das nicht aus humanitären Gründen. Es ist leider so, dass wir überhaupt keine Transparenz haben. Es gibt zwar Gesetze, die den Wahlkampf regeln. Die sind allerdings sehr schwach und darum können wir eigentlich nur spekulieren. Das Geld kommt in erster Linie von Geschäftsleuten. Es sind madagassische und ausländische Geschäftsleute. In Madagaskar eine sogenannte Raubtierwirtschaft vor. In der Wirtschaftswissenschaft spricht man von einer Rentenökonomie.

Wahlplakate in Antanarivo, Madagaskar.
Legende: Wahlplakate in Antananarivo, Madagaskar. Keystone

Das bedeutet, dass man das ganz grosse Geschäft nur machen kann, wenn man nahe an der politischen Macht ist und Rückhalt von ganz oben hat. Die Wirtschaft des Landes beruht in erster Linie auf dem Raubbau der mineralischen Ressourcen. Um diese Geschäfte zu machen – teilweise sind sie legal, teilweise illegal – braucht man jemanden an der Macht, der einem wohlgesinnt ist. Und darum geht es im Endeffekt. Die Geschäftsleute finanzieren diese Kandidaten, um danach den ganz grossen Reibach zu machen. Diese Art des Wahlkampfes und der Wirtschaftsweise sind für die Entwicklungsperspektiven des Landes fatal.

Muss man davon ausgehen, dass in Madagaskar die Finanzen entscheiden, wer neuer Präsident wird, und dass es ähnlich weitergehen wird wie bisher?

Ja. Ich gehe davon aus, dass das Geld eine ganz entscheidende Rolle spielt und dass die Kandidaten mit dem meisten Geld auch die Kandidaten sein werden, die in der Stichwahl aufeinandertreffen werden. Ich persönlich bin nicht sehr optimistisch, was die Entwicklungsperspektiven des Landes angeht.

Das Gespräch führte Chrstina Scheidegger.

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