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Wahlen in Ungarn Orban bleibt mächtig – sogar, wenn er die Wahlen verliert

Wie Orban tickt und das Leben in Ungarn beeinflusst: Vor den Wahlen in Ungarn schaut die Welt gespannt auf den Mann, den Mittelmass nie interessierte.

Ungarn, 1989: Soldaten schneiden die ersten Löcher in den Eisernen Vorhang. Ungarns Kommunisten gehen unter. Ganz Europa hoffte auf Demokratie. Landesweit berühmt wird ein junger Liberaler namens Viktor Orban. Er hält eine pro-demokratische Rede, der das ganze Land zuhört. Ganz Ungarn hört, wie Orban die Russen auffordert, sein Land zu verlassen.

Heute ist Viktor Orban seit zwölf Jahren Ungarns Regierungschef, er ist länger im Amt als alle Amtskolleginnen und -kollegen in der Europäischen Union. Heute spricht er stolz von einer «illiberalen Demokratie». Und es klingt ganz anders als 1989, wenn seine Gegner in Ungarn und in Europa über Orban sprechen.

Ungarns Regierungschef vor dem Meer ungarischer Flaggen, den rechten Arm zum Gruss erhoben.
Legende: Viktor Orban: Vom liberalen Hoffnungsträger zum Sorgenkind Europas. Keystone

«Dieb» in einer «kranken Demokratie»

«Orban ist einfach nur ein Dieb», sagt Peter Marki-Zay, der Mann, der den ungarischen Regierungschef bei den Wahlen am 3. April schlagen soll. «Orban baut an einer kranken Demokratie», sagt EU-Vizekommissionspräsidentin Vera Jourova.

Orbans Herausforderer bei den Wahlen, Peter Marki-Zay, steht mit ausgebreiteten Armen vor einem Mikrophon.
Legende: Orbans Herausforderer bei den Wahlen, Peter Marki-Zay, hat nur wenig politische Erfahrung. Und die Koalition, die ihn gegen Orban ins Rennen schickt, ist sich seiner alles andere als sicher. Keystone

Aber es gibt natürlich auch viele Leute, die Orban schätzen als tatkräftigen Konservativen in einem Europa, das ihrer Meinung nach viel zu links ist. «Er ist ein harter, aber respektierter Mann», sagt etwa der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump.

Er hatte Charisma und Humor, wir sind ihm gerne gefolgt.
Autor: Zsuszanna Szelényi Wegbegleiterin / Psychologin

Auf jeden Fall bekommt Orban viel Aufmerksamkeit, mehr, als man erwarten würde für den Regierungschef eines Landes im Osten Europas mit zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Nicht zuletzt, weil er mit seinen vielen Facetten viele Menschen fasziniert. 

Orbans Wegbegleiterin Zsuszanna Szelényi an einer Parlamentssitzung 2016.
Legende: Orbans langjährige Wegbegleiterin Zsuszanna Szelényi sagt von ihrem ehemaligen Vorbild, er wolle Gott sein oder niemand. Elekes Andor / wikipedia

Aufgewachsen ist Orban in einem kleinen Dorf, mit drei Brüdern und einem «arroganten, sogar aggressiven Vater». Das sagt Zsuszanna Szelényi, sie war Orban-Anhängerin der ersten Stunde, ist Psychologin, schreibt gerade ein Buch über Orban. «Viktor Orban wollte als Kind Fussballspieler werden, das gehörte auch zu dem machoiden Umfeld, in dem er aufwuchs.»

Gott oder niemand 

Bald aber merkte Viktor Orban, dass er nicht gut genug sein würde als Fussballspieler. «Und er wollte immer schon Gott sein oder niemand», sagt Zsuszanna Szelényi. Mittelmass habe ihn nie interessiert. Also studierte Orban in Ungarns Hauptstadt Budapest Jura, lernte die liberale Welt der Hauptstadt kennen. Und Ende der 1980er-Jahre, Viktor Orban war Mitte 20, wurde dann klar: Ungarn braucht Politiker, denn der Kommunismus, die Diktatur verschwindet.  

Orban gründete deshalb die liberale Partei Fidesz. «Er hatte Charisma und Humor, wir sind ihm gerne gefolgt», sagt Wegbegleiterin Zsuszanna Szelényi. In den 1990ern merkte Orban dann etwas Entscheidendes: Liberale kamen nirgendwo in Europa wirklich an die Macht, überall regierten entweder Konservative oder Linke.

Orban rückte seinen Fidesz nach rechts, viele kluge Leute verliessen die Partei, auch Zsuszanna Szelényi. Geblieben, sagt sie, seien Orbans überzeugteste Anhänger. Und gekommen ist der Erfolg.

Abwahl als Schock

1998 wurde er zum ersten Mal Chef der ungarischen Regierung. Und zumindest im wirtschaftlichen Bereich gelang ihm einiges: Ungarn baute Schulden ab; es gab neue Jobs. Dann, 2002, die grosse Überraschung: Die Ungarinnen und Ungaren wählten Viktor Orban ab. Warum, das ist unklar. Klar ist aber, dass Orban aus dieser Niederlage gelernt hat, er scheint sich gesagt zu haben: Ich muss meine Macht so festigen, dass das nicht wieder passiert.  

Seine zweite Chance als Regierungschef Ungarns bekam er dann 2010. Er gewann so deutlich, dass er die Verfassung umschreiben und Gesetze nach Belieben verabschieden konnte. Ganz zu Beginn veränderte er das Wahlrecht. Es funktioniert so, dass es seine grosse Fidesz-Partei viel leichter hat als alle anderen Parteien, weil sie für relativ wenig Stimmen viele Sitze bekommt im Parlament.

Korruption? Klar gibt es die.
Autor: Zilia Bender

Und Orban hat inzwischen an allen wichtigen Stellen seine Leute platziert. Und Regeln eingeführt, die es schwer machen, diese Leute wieder abzusetzen. Auf diese Weise kontrolliert er grosse Teile der Wirtschaft, die meisten Medien. Und in Bildung, Justiz und Kultur ist er gerade dabei, seinen Einfluss auszubauen.  

Orbans Leute werden reicher 

Dieser Einfluss geht Hand in Hand mit persönlicher Bereicherung. Journalistinnen und Nichtregierungsorganisationen haben im Detail nachgezeichnet, wie Orbans Umfeld sich bereichert. Sein Jugendfreund, ein Gasinstallateur, ist inzwischen der reichste Mensch Ungarns. Auch Viktor Orbans Vater ist reich geworden – mit Baumaterialien, die er zu überhöhten Preisen verkaufen kann. Generalunternehmer, die Staatsaufträge ausführen, kaufen bei ihm ein, obwohl seine Offerten zum Teil viel teurer sind als jene von Konkurrenten.

Wichtig für Orbans Erfolg ist aber auch, dass es auch vielen gewöhnlichen Ungarinnen und Ungaren besser geht als vor Orbans Zeit. Leuten zum Beispiel wie Zilia Bender. Sie ist Mitte 30 und lebt am Stadtrand von Budapest. Sie hat zwei kleine Töchter und will ein drittes Kind – ihr Mann hätte gerne noch einen Sohn.  

Zilia Bender mit ihrer Tochter auf einem Spielplatz.
Legende: Viele Ungarn und Ungarinnen wie Zilia Bender lieben Orban. Die Grosszügigkeit, mit der er Familien unterstützt, lässt ihnen fast keine andere Wahl. SRF

Viel Geld für Frauen

Zilia Bender sagt, die grosszügige Unterstützung durch Orbans Regierung ermögliche es ihr, rascher ein drittes Kind zu haben, weil sie es sich finanziell rascher leisten könne.

Klar muss ich mich gut stellen mit den lokalen Fidesz-Chefs.
Autor: Zoltan Salakta Bauunternehner

Wenn man mit Zilia Bender über die viel kritisierten Seiten der Regierung Orban spricht, die Korruption zum Beispiel, sagt sie: Klar gebe es das. Aber für sie seien diese abstrakten Probleme weniger wichtig als die konkreten Vorteile von Orbans politischem Programm.

So sehen das viele in Ungarn, auch der Bauunternehmer Zoltan Salakta aus dem westungarischen Györ. Er sagt, er habe vor allem öffentliche Aufträge. Und klar müsse er sich gut stellen mit den lokalen Fidesz-Chefs: Hier ein Abendessen, dort eine Flasche Wein oder eine Scheinbewerbung bei Vergaben, die ohnehin er bekomme.   

Bauunternehmer Zoltan Salakta aus dem westungarischen Györ in seinem Lagerraum.
Legende: Bauunternehmer Zoltan Salakta aus dem westungarischen Györ ist Pragmatiker. In Ungarn habe man sich schon immer mit den Mächtigen gut stellen müssen, wenn man Geschäfte machen wollte. srf

Wer gegen die Regierung sei, könne nicht arbeiten in Ungarn, sagt Salakta. Aber: Das sei schon früher so gewesen, früher habe er sich halt gut gestellt mit den Sozialisten. 

Recherchen von Journalisten und Berichte der EU oder von Organisationen wie Transparency International kommen allerdings zum Schluss, dass die Korruption früher nicht so systematisch war wie heute unter Orban.

Schwere Zeiten für Journalisten

Ungarn ist keine Diktatur, wo man fürchten muss, ins Gefängnis zu kommen, wenn man gegen die Regierung wettert. Aber Orban hat die Räume für Andersdenkende kleiner gemacht.

Das staatliche Radio und das staatliche Fernsehen zum Beispiel sind zu Propagandakanälen geworden. Und die privaten Medien haben grosse Probleme, auch das Nachrichtenportal «Szabad Pécs» aus der südungarischen Stadt Pécs.

Portrait von Attila Babos und Ervin Güth.
Legende: Attila Babos und Ervin Güth arbeiten für das Nachrichtenportal «Szabad Pécs» aus der südungarischen Stadt Pécs. Sie kämpfen mit erschwerten Umständen. srf

«Szabad Pécs» leidet unter Geldmangel, weil die Internetzeitung kaum Werbung bekommt. Und das, obwohl sie eine ziemlich grosse Leserschaft hat. Das Hauptproblem für «Szabad Pécs» ist, dass viele private Kunden keine Inserate schalten. «Weil sie Angst haben», sagt Attila Babos, einer von zwei Redaktoren. «Angst, dass Fidesz-Leute sie bestrafen und Geschäftspartner sich von ihnen abwenden würden, sollten sie bei uns Werbung schalten.»

Vorauseilender Gehorsam

Schwieriger wird die Lage in Orbans Ungarn auch für Kulturschaffende. Darüber kann Tamas Rupaszov einiges erzählen, er machte in den 80ern, noch unter den Kommunisten, illegal Punkmusik und ist bis heute Musikproduzent.

Tamas Rupaszov, ehemaliger ungarischer Punkmusiker und heutiger Musikproduzent sitzt für ein Portrait auf einem Stuhl.
Legende: Tamas Rupaszov, ehemaliger ungarischer Punkmusiker und heutiger Musikproduzent, beklagt die Eingriffe des Staates in das ungarische Kulturschaffen. srf

Bands, die patriotische Lieder singen, bekommen in Orbans Ungarn besonders viel Geld. Und kritische Bands haben Mühe, überhaupt aufzutreten. Sogar private Konzertveranstalter engagieren sie nicht, weil sie Angst haben, dann keine Unterstützung mehr vom Staat zu bekommen. Rupaszov sagt: «Diese Konzertveranstalter zensurieren sich selbst, wie gute Fidesz-Soldaten.»

Hotspot Podcast

Viele Menschen in Ungarn und auch ausserhalb wünschen sich ein Ende der Ära Orban bei den Wahlen am 3. April. Erstmals haben sich die Orban-Gegner in Ungarn von links bis rechts zusammengetan und gemeinsam einen Spitzenkandidaten gekürt, der Orban schlagen soll: Peter Marki-Zay. Seit vier Jahren Bürgermeister einer südungarischen Kleinstadt, parteilos. Und: konservativ wie Orban selbst.

Orban bleibt mächtig

Nur, Peter Marki-Zay sagt selbst: «Wir haben kaum eine Chance.» Das liegt auch daran, dass die vereinigten Orban-Gegner hinter Marki-Zay alles andere als geeint sind. Die Umfragen gehen von einem Sieg Orbans aus. Erst recht jetzt mit dem Krieg in der Ukraine: Viele Menschen entscheiden sich in so einer Situation für Kontinuität.

Und sogar, wenn Viktor Orban abgewählt werden sollte: Ein Stück weit bliebe er trotzdem an der Macht. Entscheidend dabei ist das Staatsbudget. Orban hat drei ihm nahestehende Leute zum «Budget-Rat» gemacht, die müssen das Budget der Regierung genehmigen und die bleiben im Amt, auch wenn Orban abgewählt wird. Wenn sie das Budget nicht genehmigen, gibt es Neuwahlen. So könnte Orban eine neu gewählte Regierung schnell wieder stürzen.

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