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Was will Norditalien? Autonomie – aber keine Abspaltung

Während die Katalanen die Abspaltung suchen, verlangen die Norditaliener bloss mehr Selbstbestimmung. Das aber mit Nachdruck.

Die katalanischen Ablösungsgelüste sind beispielhaft für andere Regionen in Europa. So haben in Italien Venetien und die Lombardei in einer Abstimmung erst kürzlich mehr Autonomie verlangt.

Im Gespräch erläutert der langjährige Italien-Korrespondent von Radio SRF, Rolf Pellegrini, wie sich die Situation in Sachen Autonomie in Norditalien zurzeit präsentiert – und welche Auswirkungen eine solche haben könnte.

SRF News: Was hat der kürzlich erfolgte Wahlsieg der katalanischen Separatisten in Norditalien ausgelöst?

Rolf Pellegrini: Praktisch nichts. Offiziell gibt es den Wunsch nach einer Abspaltung von Italien nicht mehr. Die Lega Nord hat kürzlich das «Nord» in ihrem Parteinamen fallen gelassen und will jetzt in ganz Italien mitspielen. Ausserdem teilen die Unternehmer und Manager im Norden inzwischen die Ansicht der meisten Landsleute, dass ein grosses Italien innerhalb Europas mehr Gewicht hat als ein kleines. Sie betrachten Separatismus als Gefahr. Das heisst aber nicht, dass sie sich nicht ein stärkeres Gewicht Norditaliens wünschen würden.

Was erhoffen sich die Norditaliener konkret von mehr Autonomie?

Die Mehrheit der Norditaliener will mehr zu sagen haben im Staat. Auch drängt sie darauf, dass sie weniger an Rom und den Süden, der von vielen als ein Fass ohne Boden betrachtet wird, bezahlen muss. Bereits jetzt haben fünf der insgesamt 20 Regionen in Italien einen Autonomie-Sonderstatus. Darunter sind etwa auch Sizilien und Sardinien, die Geld und Autonomierechte schlecht managen. Im krassen Gegensatz dazu präsentiert sich die Region Trentino/Südtirol im Norden: Hier dürfen die Steuern fast gänzlich lokal verwendet werden, das Geld fliesst also nicht in Richtung Süden ab. Entsprechend hoch ist hier die Lebensqualität, die Verwaltung arbeitet sehr effizient. Die Region Trentino/Südtirol wird von der Lombardei und Venetien denn auch als Vorzeige-Region bewundert und beneidet.

Wenn Rom keine Konzessionen macht, dürfte sich die Stimmung im Norden weiter verschlechtern.
Autor: Rolf Pellegrini SRF-Mitarbeiter in Italien

Wie gross sind die Chancen von Lombardei und Venetien, dass sie eine Autonomie ähnlich jener von Trentino/Südtirol erhalten?

Gemäss der italienischen Verfassung könnten gewisse Kompetenzen tatsächlich voll auf eine Region übertragen werden. Die Norditaliener fordern denn auch mehr Autonomie in den Bereichen Bildung, Beschäftigung und Umwelt. Doch die Verhandlungen mit der Regierung in Rom haben noch gar nicht begonnen. Ausserdem muss das Verhandlungsergebnis vom italienischen Parlament dereinst auch noch abgesegnet werden. Die Bremser-Rolle des italienischen Zentralstaats ist dabei nicht zu unterschätzen.

Bildschirm mit dem Abstimmungsresultat: 95,64 % Ja, 3,61 % Nein.
Legende: Im Oktober stimmten mehr als 90 Prozent der Norditaliener für mehr Autonomie ihrer Regionen. Imago

Was geschieht, falls der Norden in absehbarer Zeit nicht mehr Autonomierechte erhält?

Wenn Rom keine Konzessionen macht, dürfte sich die Stimmung im Norden weiter verschlechtern. Das Klagen wegen der Verschwendung im Süden, den von Rom auferlegten komplizierten Regelungen und der dadurch geschwächten internationalen Konkurrenzfähigkeit wird wieder zunehmen. Rom kann dem Norden also eigentlich nicht einfach die kalte Schulter zeigen. Viele in der Lombardei und in Venetien sind davon überzeugt, dass sie es sind, die den Reichtum in Italien schaffen – oder es Italien zumindest erlauben, nicht unterzugehen. Und ganz falsch ist das nicht: Eine konkurrenz- und exportfähige Industrie gibt es in Norditalien – und sicher nicht im Süden. Dafür verlangt der Norden eine Anerkennung.

Die Kehrseite der Medaille: Der Süden befürchtet, dass die staatlichen Investitionen und Gelder dereinst spärlicher fliessen könnten, und man sich selber überlassen bliebe.
Autor: Rolf Pellegrini SRF-Mitarbeiter in Italien

Was würde es für den Süden Italiens bedeuten, wenn der Norden mehr Autonomie erhielte?

Das schafft natürlich Angst. Man befürchtet im Süden, dass die staatlichen Investitionen und Gelder dereinst spärlicher fliessen könnten, und man sich selber überlassen bliebe. Armuts- und Elendsgegenden mit unterentwickelten Wirtschafts- und Infrastrukturen und grosser Arbeitslosigkeit könnten die Folge sein. Die am besten ausgebildeten und tüchtigsten Jungen könnten in noch grösserer Zahl als heute den Süden in Richtung Norden verlassen. Das ist quasi die Kehrseite der Medaille des Wunsches nach mehr Autonomie im Norden. Zugleich ist von dort zu vernehmen, dass sich der Süden stärker selber helfen muss, um für Investitionen und Unternehmen attraktiver zu werden.

Das Gespräch führte Sonja Mühlemann.

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