Bei den Newlands Springs, einer natürlichen Quelle mitten in einem Mittelschichtquartier in Kapstadt, herrscht Andrang. Menschen jeglichen Alters, Geschlechts und aller Hautfarben stellen sich mit ihren leeren Plastikflaschen und Kanistern in die Schlange. Alle wollen nur eines: zusätzliches Wasser. Denn das Wasser aus dem Hahn zuhause ist rationiert.
«‹Day Zero› steht kurz bevor», sagt ein junger Mann. Dann dreht die Stadt die Wasserversorgung ab. Um zu verhindern, dass die Stunde Null eintrifft, haben die Behörden den Wasserdruck in den Leitungen schon vor längerer Zeit vermindert. Jede Person darf seitdem pro Tag noch höchstens 50 Liter Wasser brauchen.
Es droht eine Anzeige des Nachbarn
Wasserpatrouillen kontrollieren, ob die Haushalte die Rationierung einhalten. Es gibt sogar eine städtische Hotline, bei der man Wassersünder anzeigen kann. Doch ob das reicht, ist unklar. Deshalb fürchten viele Kapstädter den «Day Zero». «Wenn sie wirklich die Hähne zudrehen, wird das ein Riesenproblem. Ich kann mittlerweile sogar verstehen, warum Nationen für Wasser in den Krieg ziehen», sagt ein älterer Mann in der Warteschlange.
Als die Stadt Anfang Jahr die Stunde Null auf April ansetzte, brach bei einigen Kapstädtern Panik aus. Sie kauften das Trinkwasser in den Supermärkten auf und legten ganze Wasserlager in ihren Garagen an. Bei den Quellen von Newlands habe damals Chaos geherrscht, erzählt eine Anwohnerin: «Es war ein Albtraum.»
Die ganze Nacht hindurch seien Lastwagen vorgefahren, um an der Quelle Wasser abzuzapfen und abzutransportieren. «Einige meiner Nachbarn haben sogar ihr Haus verkauft – sie konnten nicht mehr schlafen», ergänzt die Frau. Weil es auch zu Schlägereien gekommen ist, kontrolliert mittlerweile die Polizei die Wasserstellen Kapstadts. Es ist dies bloss ein Vorgeschmack, was an «Day Zero» passieren könnte.
Es drohen Seuchen und Gewalt
Die Stadtbehörden versuchen, sich auf die Situation der Stunde Null vorzubereiten. Zuständig für den Notfallplan ist Greg Pillay. Er ist Chef des Kapstädter Disaster Risk Management Center. Seine Behörde sieht vier Hauptrisiken: «Kein Wasser heisst keine Hygiene, heisst Krankheitsausbrüche. Ausserdem droht die Gefahr von Gewalt in der Bevölkerung», sagt Pillay.
Sollte Kapstadt das Wasser ausgehen, wird die Regierung mit Hilfe von Polizei und Militär an 200 Stellen in der Stadt je 25 Liter Wasser pro Person und Tag abgeben. Spitäler, Atomkraftwerke, der Flughafen und andere wichtige Infrastrukturen werden weiterhin uneingeschränkt Wasser haben. Für alle anderen wird das Leben nicht mehr sein wie zuvor, so der Katastrophenmanager.
«Alle werden sich viel Zeit nehmen müssen, um für Wasser anzustehen.» Das werde die Wirtschaft beeinträchtigen, auch könnte es Jobs kosten. «Ich bitte darum alle Kapstädter, Wasser zu sparen, damit es nicht zum Ernstfall kommt», appelliert Pillay an seine Mitbürger.
Wasserverbrauch dank Drohkulisse halbiert
Die Rhetorik der Behördenvertreter wird von vielen Kapstädtern als bedrohlich wahrgenommen, Kritik wurde laut. Doch die Drohkulisse hat auch Wirkung gezeigt: Innerhalb weniger Monate hat die Stadt ihren Wasserverbrauch halbiert. Wenn das so bleibt, und der Regen kommt, kann «Day Zero» noch vermieden werden. Wenn.
Tatsächlich hat es inzwischen angefangen zu regnen. Bei den Quellen in Newlands löst das Dankesgebete aus: «Thank you lord, thank you», hört man die Anstehenden ausstossen. Doch es sind nur ein paar wenige Regentropfen, die fallen. Trotzdem sind die Menschen froh; froh um jedes kleine bisschen Regen.