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«Weg mit dem Zar!»
Aus Echo der Zeit vom 11.07.2020. Bild: Keystone
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«Weg mit dem Zaren!» Warum in Russlands Provinz Tausende gegen Putin demonstrieren

Ganz im Osten Russlands, in der Region Chabarowsk, sind am Samstag Tausende Menschen auf die Strasse gegangen, um gegen Präsident Wladimir Putin zu protestieren.

Sie sind verärgert, weil die Regierung den beliebten Gouverneur von Chabarowsk, Sergej Furgal, verhaften liess. Moskau wirft diesem vor, er habe vor 15 Jahren Menschen umbringen lassen. David Nauer erklärt, warum Furgal die Massen mobilisiert.

SRF News: Grosse Proteste gegen Wladimir Putin in der russischen Provinz, ist das nicht ungewöhnlich?

David Nauer: Doch. In Chabarowsk wurde wirklich mit grosser Energie und Leidenschaft demonstriert. Die Leute haben etwa gerufen: «Weg mit dem Zaren!» Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten Jahrzehnten eine so grosse Demonstration in der Provinz gegeben hätte.

Tausende Menschen sind auf die Strasse gegangen, um gegen Präsident Putin zu protestieren.
Legende: Tausende Menschen sind auf die Strasse gegangen, um gegen Präsident Putin zu protestieren. Reuters

Wo steht denn Sergej Furgal ? Ist er ein Putin-Gegner?

Ja und nein. Er ist kein klassischer Oppositioneller. Er war lange im Parlament in Moskau und hat eng und gut mit dem Kreml zusammengearbeitet. Aber er hat 2018 die Gouverneurswahl in Chabarowsk gewonnen, und zwar gegen den offiziellen Kremlkandidaten. Und seither gab er sich als «Volksgouverneur», der eben das macht, was das Volk will, und nicht, was Moskau will.

So hatte die Region Chabarowsk etwa bei der Verfassungsabstimmung letzte Woche eine viel tiefere Stimmbeteiligung und auch einen viel tieferen Ja-Anteil gemeldet hat als der Durchschnitt in Russland. Erklären kann man sich das eigentlich nur so, dass Gouverneur Furgal offensichtlich nicht zugunsten des Kremls hat fälschen lassen.

Furgal Verhaftung.
Legende: Sergej Furgal ist in der Region sehr beliebt, weshalb seine Verhaftung die Menschen in ungewohnten Massen mobilisiert hat. Reuters

Furgal habe unter anderem zwei Morde in Auftrag gegeben, behauptet Moskau. Ist an diesem Vorwurf etwas dran?

Das kann ich im Detail nicht beurteilen. Aber es gibt offenbar einen Zeugen, der Furgal schwer belastet. Er hat auch tatsächlich einen etwas zweifelhaften Ruf. Er war auch im Altmetallgeschäft tätig – in Russland ein sehr kriminelles Business.

Man muss damit rechnen, dass unruhige Zeiten kommen – nicht nur in Chabarowsk

Beobachter sagen aber, das Problem sei nicht, dass Furgal eventuell an Verbrechen beteiligt gewesen war. Das Problem sei vielmehr, dass der Staat erst dann gegen ihn vorging, als er politisch unbequem wurde. Verbrechen würden also erst geahndet, wenn jemand nicht mehr loyal gegenüber Moskau ist. Mit Rechtsstaatlichkeit hätte das natürlich nichts mehr zu tun.

Es scheint, Repressionen gegen Regierungskritiker haben zugenommen, seit die neue Verfassung in Kraft ist. Täuscht dieser Eindruck?

Nein. Es ist eine eigentliche Repressionswelle gegen kritische Journalisten und Aktivistinnen in Moskau im Gang. Leute wurden eingeschüchtert. Es gab auch Festnahmen. Mit der Verhaftung von Gouverneur Furgal sendet der Kreml nun auch noch den lokalen Eliten das Signal, dass jeder Probleme bekommt, der nicht pariert.

Chabarowsk ist weit weg von Moskau. Wie werden die Proteste in der Hauptstadt wahrgenommen?

Sehr genau. Auch, weil die Opposition in Moskau selber unter hohem Druck steht. Die Proteste in Chabarowsk werden nun als Beweis gewertet, dass das sogenannte einfache Volk in der Provinz ebenfalls unzufrieden sei mit Putin. Und da ist wohl auch etwas dran. Denn die Volksabstimmung von letzter Woche zur Verfassung hat zwar eine Zustimmung von 78 Prozent ergeben. Aber diese Zahl ist manipuliert, der Abstimmungskampf war schon unfair, und es gibt glaubwürdige Hinweise, dass das Resultat verfälscht wurde. Die echte Unterstützung für Putin muss deutlich tiefer liegen. Der Kreml will deshalb jeden Unmut im Keim ersticken. Man muss damit rechnen, dass unruhige Zeiten kommen – nicht nur in Chabarowsk.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 11.7.2020, 18 Uhr;

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