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Wegen irregulärer Migration Grenzkontrollen: Deutsche Verschärfung betrifft auch Schweiz

Das Innenministerium kündigte an, Grenzkontrollen zu verstärken – auch nahe der Schweiz. Der Bund hält nichts davon.

Vieles von dem, was die deutsche Innenministerin Nancy Faeser gestern angekündigt hat, bleibt noch vage. Heute wollte sie in vertraulichen Gesprächen mit den deutschen Parteispitzen konkreter werden. Diese «Migrationsgespräche» zwischen Bundesregierung und der Union über eine Verschärfung der Asylregeln sind nun aber gescheitert, wie die Union bekannt gab.

Grenzkontrollen an der Grenze zur Schweiz allerdings sind nichts Neues. Deutschland kontrolliert seine Grenze seit dem vergangenen Herbst verstärkt, aber eben nie flächendeckend. Das wird auch in Zukunft kaum möglich sein.

Faeser ordnet mehr Grenzkontrollen an

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Ein deutscher Polizist steht auf der AUtobahn A12 nahe der deutsch-polnischen Grenze, stoppt ein Auto bei der Einreise.
Legende: Ein deutscher Polizist am deutsch-polnischen Grenzübergang. KEYSTONE/DPA/Patrick Pleul

Um die Zahl der Einreisen von Menschen ohne Visum stärker einzudämmen, hat die deutsche Innenministerin Nancy Faeser vorübergehende Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet und bei der EU-Kommission notifiziert. Das wurde am Montag aus Regierungskreisen bekannt.

Die Gründe dafür seien neben der Begrenzung der irregulären Migration auch der Schutz der inneren Sicherheit vor den aktuellen Bedrohungen durch den islamistischen Terrorismus und vor grenzüberschreitender Kriminalität.

Verschärft hatte sich zuletzt die Debatte um irreguläre Migration und Abschiebungen auch aufgrund von mehreren Gewalttaten. In Solingen waren bei einem mutmasslich islamistischen Messerattentat auf einem Stadtfest im August drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Ein 26-jähriger Syrer sitzt wegen der Tat in Untersuchungshaft. In Mannheim hatte Ende Mai ein Afghane fünf Mitglieder der islamkritischen Bewegung Pax Europa und einen Polizeibeamten mit einem Messer verletzt, der Polizist starb.

Sehr klar ist deshalb die Interpretation des Staatssekretariats für Migration SEM nach der gestrigen Ankündigung. «Wir gehen davon aus, dass das keine Auswirkungen haben wird. Und wir sind weiterhin der Meinung, dass aus Sicht der Schweiz die Wiedereinführung von solchen Binnengrenzkontrollen kein geeignetes Mittel ist, um die irreguläre Sekundärmigration zu verhindern», sagt Mediensprecher Samuel Wyss vom SEM.

Gespräche mit Union gescheitert – Regierung will Schnellprüfungen

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Die Ampel-Regierung und die Union haben bei ihrem zweiten Migrationstreffen im Bundesinnenministerium keinen gemeinsamen Nenner gefunden – die Bundesregierung plant aber dennoch Reformen. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, erklärte in Berlin, die Regierungsparteien hätten «keinen Vorschlag unterbreitet, der tatsächlich zu Zurückweisungen an der Grenze über das bisher übliche Mass hinaus führt». Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte die Gespräche für gescheitert.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schlug bei dem Gespräch, an dem auch Ländervertreter teilnahmen, ein Modell vor, um Asylbewerber, die anderswo schon registriert wurden, künftig rascher in für sie zuständige europäische Staaten zu bringen. Die Pläne will die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP nach Angaben der Ministerin nun auch ohne die Union verfolgen. Faeser räumte ein: «Wenn wir das jetzt als gutes System etablieren wollen, braucht es mehr Personal, damit die Bundespolizei das auch dauerhaft stemmen kann.»

Für die konkrete Umsetzung der geplanten Beschleunigung sei eine Zusammenarbeit mit den betroffenen Bundesländern notwendig, sagte Faeser. Bei einigen Ländern habe sie hierzu auch bereits Interesse festgestellt.

Anders beurteilt Sarah Progin, Professerin für Europa- und Migrationsrecht an der Universität Freiburg, die Situation. «Das könnte bedeuten, dass mehr Leute in der Schweiz steckenbleiben, dass sie nicht nach Deutschland weiterreisen können, wenn das ihr Zielstaat ist, oder dass sie nicht durch Deutschland in andere Staaten weiterreisen können», sagt Progin. Das wiederum könne dazu führen, dass Geflüchtete in der Schweiz einen Asylantrag stellen und das Verfahren abwarten.

Belastung für die Schweiz könnte zunehmen

Zumindest in der Tendenz dürften die Anträge zunehmen, so die Logik. Auch wenn Antragstellende länger als fünf Monate nachweislich in der Schweiz bleiben und nicht weiterreisen können, kann die Schweiz für diese Fälle offiziell zuständig werden. Das sehen die europäischen Dublin-Regeln vor. Die Belastung für die Schweiz nähme also zu.

Hinzukommt, dass Italien zwar Zurückgewiesene an der Grenze entgegennimmt, also jene Fälle, die auch Deutschland jetzt verstärkt zurückschicken will. Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens akzeptiert Italien aber schon länger nicht mehr.

Die Deutschen haben das Recht. Das liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten.
Autor: Samuel Wyss SEM-Sprecher

Beim SEM allerdings heisst es, bislang hätten mehr Grenzkontrollen keinen Einfluss auf die Asylgesuchszahlen hierzulande gehabt. Und man gehe auch nicht davon aus, dass sich das jetzt ändere.

Was also bringen den Deutschen die verstärkten Grenzkontrollen? Beim Bund heisst es: «Die Deutschen haben das Recht. Das liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Der Hintergrund ist da die politische Bewegung auch nach dem Fall Solingen», so SEM-Sprecher Wyss. Man äussere sich dazu nicht, was die Deutschen nun gemacht hätten.

Vor allem Symbolpolitik

Frei übersetzt heisst das: Die zusätzlichen deutschen Grenzkontrollen dürften auch in den Augen der Schweizer Behörden vor allem Symbolpolitik sein, nach der Messerattacke eines abgewiesenen Asylbewerbers in Deutschland.

In der Praxis dürften wohl einige Geflüchtete in den zusätzlichen deutschen Kontrollen hängen bleiben und in die Schweiz zurückgeschickt werden. Aber diese Leute werden nicht festgehalten und nehmen innert kurzer Zeit – vielleicht an einem anderen Ort – einen zweiten Anlauf. Dann haben sie oft mehr Glück, Kontrolle hin oder her. Solange sie die Schweiz lediglich durchquert haben, sind dann andere Länder für die Asylverfahren zuständig.

Rendez-vous, 10.09.2024, 12:30 Uhr/schn;kobt

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