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Wegen Quecksilber Grossbritanniens giftige Leuchttürme werden saniert

Auf schroffen Klippen stehen sie für Orientierung: Leuchttürme weisen Seefahrern seit Jahrhunderten den Weg. Allein entlang den Küsten der britischen Inseln stehen heute noch gut 250 funktionierende Türme. Doch nun verlieren sie ihren Strahl. Leuchttürme sind nicht nur hell, sondern auch giftig.

Der Leuchtturm von South Foreland steht auf den Klippen von Dover. Weiss, eckig und hoch über der stürmischen See. Während vier Jahrhunderten hat dieser Leuchtturm Nacht für Nacht seinen Strahl übers Wasser, Land und Himmel gleiten lassen. Hell. Dunkel. Hell.

Leuchtturm inmitten grüner und brauner Felder an der schroffen Küste. Bild von oben
Legende: Der Leuchtturm von South Foreland ist einer von 250 funktionierenden Leuchttürmen an Grossbritanniens Küste, die saniert werden müssen. zvg

«Heute funktioniert das automatisch, doch früher sorgten Leuchtturmwächter dafür, dass dieses Licht nie ausgeht», erzählt der pensionierte Kapitän Paul Rees, der uns durch den Leuchtturm führt. «Für uns Seeleute draussen auf den Schiffen waren diese maritimen Wegmarken überlebenswichtig. Die Sandbänke vor der Küste sind gefährlich und voller Wracks.»

Paul Rees steigt im Leuchtturm von South Foreland eine enge Wendeltreppe empor. Im ersten Stock befindet sich ein kleiner Schreibtisch mit See- und Wetterkarten und ein altes Radio. Leuchtturmwächter hielten nicht nur das Licht am Brennen, sondern haben auch Windstärke und Temperatur festgehalten und die Daten ans Maritim-Büro weitergeleitet.

Schreibunterlagen und ein Radio auf einem Schreibtisch in einer Nische am Fenster, Blick auf das Meer.
Legende: Das Büro im Leuchtturm. SRF/Patrik Wülser

Gerade bei Sturm und Regen sind Leuchttürme auch heute noch eine wichtige Navigationshilfe. Der Lichtstrahl jenes Turms von South Foreland ist selbst noch in einer Entfernung von 30 Kilometern zu sehen.

Ein Bad aus 30 Kilo Quecksilber

Zuoberst auf dem Leuchtturm im Glashaus steht ein monumentales Karussell aus Linsen. Dahinter eine 100 Watt-Glühbirne. Hunderte von Prismen bündeln deren Licht zum markanten Strahl. 3.5 Tonnen wiegt die Konstruktion, die pro Minute vier Mal um sich selbst rotiert. Damit dies reibungsfrei und stabil funktioniert, schwimmt das Karussell auf flüssigem Metall – einem Bad aus gut 30 Kilo Quecksilber.

Rechts Glaslinsen im Leuchtturm, dahinter das Meer
Legende: Das Linsenkarussell wird ersetzt werden. SRF/Patrik Wülser

Mit einer Kurbel zieht Paul Rees eine Art Uhrwerk auf, welches das Linsen-Karusell die ganze Nacht auf dem flüssigen Metall in Gang hält. Genial, aber gefährlich. Quecksilber-Dämpfe sind hochgiftig. Besonders in dieser Menge. Viele fragen sich heute, ob nicht die Einsamkeit, sondern das giftige Metall der Grund war, dass früher Leuchtturmwächter gelegentlich dem Wahnsinn verfallen sind.

Ein Blinken bleibt

Rund 250 Leuchttürme sind heute noch im Königreich in Betrieb. Bis Ende Jahr sollen sie saniert und umgerüstet werden. Die schweren, rotierenden Linsen werden durch fix montiere elektronische Leuchten ersetzt. Leuchttürme verlieren damit ihren Strahl und werden künftig nur noch blinken. Medizinisch sei das sicher richtig, meint Paul stirnrunzelnd.

Mann mit weissem Bart in kariertem Hemd mit Umhängetasche, im Hintergrund graue Apparaturen mit farbigen Knöpfen.
Legende: Für den pensionierten Kapitän Paul Rees ist das Verschwinden des rotierenden Lichtstrahls ein Verlust. SRF/Patrik Wülser

«Als ehemaliger Seemann möchte ich weiterhin Leuchttürme mit einem rotierenden, warmen Lichtstrahl sehen und nicht eine LED-Leuchte, die wie einen Taschenlampe an- und ausgeknipst wird. Das Verschwinden der rotierenden Leuchtturm-Lichter ist nicht nur für Seeleute ein Verlust. Wenn wir hier in South Foreland die grossen Linsen drehen lassen, erinnert dies viele Leute an ihre Kindheit, wenn der Strahl des Leuchtturms nachts die Wand ihres Schlafzimmers streifte.»

Nach der Sanierung der britischen Leuchttürme wird kein Strahl mehr über das Meer und Schlafzimmerwände streifen. Das ist nicht weltbewegend und insbesondere nicht mehr giftig, doch definitiv das Ende einer nautischen Epoche.

Echo der Zeit, 24.8.2023, 18 Uhr

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