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Migration: Dutzende Tote nach schwerem Bootsunglück in Griechenland
Aus Tagesschau vom 14.06.2023.
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Weltweit viele Vertriebene Schweizer UNHCR-Chefin: «Die Zahlen sind erschreckend»

108.4 Millionen. So viele Menschen waren per Ende 2022 auf der Flucht. Ein rekordhohes Niveau – nicht zum ersten Mal. Denn die Zahlen steigen seit Jahren, wie Daten des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR zeigen.

Und doch ist der Sprung im vergangenen Jahr aussergewöhnlich. Wie ist dies einzuordnen? Anja Klug, UNHCR-Vertreterin für die Schweiz und Liechtenstein, im Gespräch.

Anja Klug

Anja Klug

UNHCR-Vertreterin Schweiz/Liechtenstein

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Anja Klug ist seit 2015 Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein. Die studierte Juristin hat zu verschiedenen flüchtlingsvölkerrechtlichen Themen wissenschaftlich publiziert. Klug spricht fliessend Deutsch, Englisch und Französisch.

SRF News: Was sagen Sie zu den aktuellen UNO-Zahlen zu den weltweit vertriebenen Personen?

Anja Klug: Sie sind erschreckend. Die Zahlen stehen in engem Zusammenhang mit der Anzahl Konflikten, welche auf der Welt stattfinden und bedauerlicherweise kein Ende finden. Ein Beispiel: Wenn die Krisen in Syrien, der Ukraine und Afghanistan gelöst würden, gäbe es weltweit etwa 52 Prozent weniger Flüchtlinge.

Die Welt wird also immer gefährlicher und die Konflikte finden kein Ende. Haben sich auch die Fluchtgründe verändert?

Wir können sagen, dass es nicht den einen Grund gibt, der für eine Flucht verantwortlich ist. Häufig spielen sie ineinander hinein. Kommt es beispielsweise zu Gewalt in einem Bürgerkriegsland, geht diese häufig einher mit Verfolgung und anderen Menschenrechtsverletzungen.

Viele venezolanische Vertriebene fliehen in Richtung Norden, hier ein Camp an der mexikanisch-amerikanischen Grenze.
Legende: Viele venezolanische Vertriebene fliehen in Richtung Norden, hier ein Flüchtlingscamp an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. EPA/Joebeth Terriquez

Menschen flüchten auch vor der Klimakrise. Umgangssprachlich werden sie oft «Klimaflüchtlinge» genannt.

Die Klimakrise verschlimmert die Situation weiter. Aber wir halten das Wort «Klimaflüchtling» für irreführend; die Menschen fliehen nicht wegen des Klimas, sondern wegen der Folgen, welche vom menschengemachten Klimawandel ausgehen.

Fehlt hier ein rechtlicher Rahmen?

Man muss betonen: Die meisten Personen, welche wegen der Folgen von Naturkatastrophen auf der Flucht sind, befinden sich im eigenen Land. Hier gibt es entsprechende Richtlinien im Völkerrecht.

Für den Fall, dass Menschen aber eine Landesgrenze überqueren, gibt es keine spezielle völkerrechtliche Norm. Die Menschenrechtsverträge können vor Zurückweisung schützen, aber die Schwelle ist sehr hoch. Es gibt aber weitergehende nationale Regelungen.

Macht ihnen die Klimakrise Sorgen?

Sehr sogar. Es ist ein weiterer Faktor, der die ganze Problematik weiter verschlimmert. Die Klimakrise ist nämlich nicht nur eine Fluchtursache, weil durch sie die Lebensgrundlage und Ressourcen verschwinden oder umkämpfter werden. Es stellen sich weitere Fragen. Oftmals sind die klimatischen Bedingungen im Zielland beispielsweise ebenfalls ungenügend. Und Flüchtlingscamps brauchen ebenfalls Energie. Wie können diese klimaneutral betrieben werden?

Sie haben kurz die nationale Ebene angesprochen. Macht die Schweiz genug für den Schutz von Vertriebenen?

Die Schweiz hat ein solides Asylwesen. Wir spüren die humanitäre Tradition. Das System funktioniert grundsätzlich gut, mit der Revision des Asylgesetzes aus dem Jahr 2019 sind wir grundsätzlich zufrieden und viele Menschen erhalten Schutz.

Wir stören uns an der Schweizer Interpretation der Flüchtlingskonvention.

Und doch gibt es Punkte, die wir kritisieren. Besonders stören wir uns an der engen Interpretation der Flüchtlingskonvention. Diese führt nämlich dazu, dass viele Menschen, die Schutz benötigen und nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden können, hier kein Asyl erhalten. Im Gegensatz zu jedem anderen Staat aus dem Schengen-Dublin-Raum fehlt in der Schweiz und Liechtenstein nämlich auch ein subsidiärer Schutz. Diese Menschen sind nur vorläufig aufgenommen und haben eine schwache Rechtsstellung, unterliegen beispielsweise einem Reiseverbot oder können ihre Familie nicht nachziehen. Das ist für uns stossend.

Das Gespräch führte Pascal Studer.

Tagesschau, 14.06.2023, 19:30 Uhr;

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