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Wie geht es weiter mit Europa? «Ich gebe der EU 3.5 von zehn Punkten»

Wolfgang Schäuble bewertet den Zustand der Union kritisch. Der Brexit beherrsche zurzeit alles, auch das Rahmenabkommen.

Europas erfahrenster Politiker hält beim Brexit noch alles für möglich. Von den Europawahlen erhofft sich Wolfgang Schäuble eine höhere Wahlbeteiligung als bisher. Der Schweiz rät er, die Äusserungen aus Brüssel im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen ernstzunehmen.

Wolfgang Schäuble

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Der deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ist seit 2017 Präsident des Deutschen Bundestages . Von 1984 bis 1991 und von 2005 bis 2017 war er als Innen- und Finanzminister in der Bundesregierung. Ebenso war er Kanzleramts- und Fraktionschef. Schäuble war massgeblich für den deutschen Einigungsvertrag nach dem Fall der Mauer zuständig.

SRF News: Herr Schäuble, wir stehen kurz vor dem Brexit. Wie geht es der EU auf einer Skala von eins bis zehn?

Wolfgang Schäuble: Na ja, zwischen drei und vier. Die EU hat grosse Herausforderungen zu bewältigen. Das Brexit-Drama in Grossbritannien zeigt, was viele Menschen an der Europäischen Union vermissen und weswegen diese Schwierigkeiten hat. Nämlich dass die Menschen in den Mitgliedsländern nicht verstehen, warum die EU ihre Sache ist und notwendig. Zugleich zeigt sich, wie wichtig die Verflechtung der EU ist und wie schwer sie aufzulösen ist.

Gerade auch der Brexit zeigt, wie wichtig die Union ist und dass sie besser, effizienter und handlungsfähiger gemacht werden muss. Da bieten die Wahlen zum Europäischen Parlament auch eine Chance. Ich bin zuversichtlich, dass die Wahlbeteiligung höher als bei früheren Wahlen sein wird. Es wäre ein wichtiger Schritt für eine bessere Legitimität.

Ist da nicht etwas völlig falsch gelaufen, dass sich die EU und London nicht einigen konnten? Die Briten gehören doch einfach dazu?

Diese Frage eines Schweizers entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Natürlich gehören die Briten zu Europa, die Schweiz gehört auch zu Europa. Die Frage ist ja, ob man zur EU gehören will. Und da waren die Briten immer ein bisschen reserviert. Sie haben die Integration immer etwas anders verstanden als andere europäische Länder. Dazu kommt ihr besonderes historisches Verständnis als Weltmacht. Nun wird sich aus diesem Tohuwabohu irgendwann eine Lösung herausschälen. Ein harter Brexit wäre natürlich ein ziemlich riskanter Kurs. Vielleicht lässt er sich noch vermeiden.

Sie haben einmal gesagt, sie könnten sich einen Beitritt der Schweiz zur EU vorstellen. Das liegt aber nicht gerade vor der Tür?

Ich habe «eines Tages» gesagt. Und zwar dann, wenn die EU so funktioniert, dass die Menschen sich in den Mitgliedsländern durch Brüssel wirklich vertreten fühlen. Dass sie sagen: Ja, das können wir nur gemeinsam machen. Wenn das erreicht ist, wird die Schweiz eine neue Grundlage für Überlegungen haben.

Jetzt steht das Rahmenabkommen mit der EU an. Ein offener Punkt ist die Unionsbürgerrichtlinie. Ist da das letzte Wort gesprochen?

Ich habe Verständnis für die Bedenken der Schweiz. In der Schweiz muss man aber auch ein wenig Verständnis für jene in Europa haben, die andere Regeln und Probleme haben. Ich habe in Brüssel immer dafür geworben, dass man Verständnis für die Denkweise in einem kleinen Land haben möge, das niemandem schadet und auch ein fairer Partner ist. Ich fürchte aber, dass die Fokussierung auf den Brexit die Bereitschaft nicht gerade fördert, sich ganz stark in die Besonderheiten der Schweiz hineinzudenken.

Die EU hat gedroht, die Gangart zu verschärfen, wenn es bis Juni keine Einigung gibt. Ist das Rhetorik oder ernstgemeint?

Wie ich schon sagte: Die Lage um den Brexit führt ein Stück weit dazu, dass man nicht allzu viel Kraft darauf verwendet, sich in die Schweiz hineinzuversetzen. Das kann man ja auch als nicht fair empfinden, denn die Schweiz kann für den Brexit nichts. Aber ich würde es als Schweizer ernst nehmen und rate dazu.

Das Gespräch führte Peter Voegeli.

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