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Wiederaufbau in Syrien «Der Syrienkrieg hat auch Russland an seine Grenzen gebracht»

Mehr als sieben Jahre dauert nun schon der schreckliche Bürgerkrieg in Syrien. Unzählige Versuche, die verschiedenen beteiligten Akteure an einen Verhandlungstisch zu bringen und – noch entscheidender – zu einer Friedenslösung, sind kläglich gescheitert. Einen neuen Anlauf, um das zerstörte Land zu stabilisieren, wollen nun offenbar Deutschland, Russland, Frankreich und die Türkei nehmen. Ein ähnliches Treffen soll Anfang September zwischen Iran, Russland und der Türkei stattfinden.

Unabhängig davon hat Russland, die Schutzmacht des syrischen Machthabers Assad, nun einen erstaunlichen Vorschlag gemacht: Wenn Europa beim Wiederaufbau in Syrien hilft, können die Flüchtlinge schneller wieder in ihre Heimat zurück. Die Europäische Union müsse aber Bedingungen stellen, die einen Prozess der Versöhnung in Gang setzten, sagt Russland-Experte Stefan Meister.

Stefan Meister

Politologe

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Stefan Meister ist Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er spricht Deutsch, Russisch, Englisch und Polnisch.

SRF News: Was ist von diesem Vorschlag zu halten?

Stefan Meister: Ich finde diese ganze Diskussion mit Blick auf den Wiederaufbau durch die EU ein bisschen vergiftet. Wladimir Putin war am Wochenende in Berlin. Das Thema Rückkehr der Flüchtlinge und die Finanzierung des Wiederaufbaus mit Assad war eines der grossen Themen.

Das Problem ist, dass die EU-Staaten bis anhin immer gesagt haben, mit Assad werde es keinen Wiederaufbau geben. Die Menschenrechtsverletzungen, die unter ihm passiert sind und die Art der Kriegsführung machen es inakzeptabel.

Inzwischen sind wir an dem Punkt, an dem wir das im Prinzip akzeptieren und auch noch dafür bezahlen sollen, damit keine weiteren Flüchtlinge mehr nach Europa kommen. Ich denke, es braucht eine grundlegende Diskussion, unter welchen Bedingungen das überhaupt möglich ist.

Welche Bedingungen müssten erfüllt sein?

Es müsste geklärt werden, wie ein Versöhnungsprozess begonnen werden kann, unter welchen Bedingungen die Flüchtlinge zurückkehren können, und wie sicher sie dort sind. Wie sieht es mit dem Eigentum der Flüchtlinge aus, wie wird das mit dem Geld geregelt, und wer verteilt es? Zudem stellt sich die Frage, ob Assad nur eine Übergangslösung zu einem demokratischen Prozess ist, oder ob es die Akzeptanz von Assad durch die Hintertür ist.

Russland dominiert in Syrien das militärische und das politische Feld. Wieso nun dieser Aufruf an Europa?

Russland fehlt das Geld. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Der Krieg in Syrien hat auch die russischen Möglichkeiten an ihre Grenzen gebracht. Russland möchte natürlich mit seinen Stützpunkten dort weiter präsent sein, aber es möchte nicht dauerhaft finanziell belastet werden.

Putin setzt auf europäische Hilfe im Wissen, dass es hier eine Angst vor neuen Flüchtlingswellen gibt.

Putin braucht also internationale Hilfe und setzt dabei vor allem auf die Europäische Union im Wissen, dass es in Europa eine Angst vor neuen Flüchtlingswellen gibt. Gerade, wenn die Nachbarländer von Syrien die Geflüchteten nicht mehr dauerhaft versorgen können, drohen neue Flüchtlingsbewegungen.

Wladimir Putin und Angela Merkel
Legende: Wladimir Putin unterbreitete Angela Merkel den Vorschlag, sich beim Wiederaufbau in Syrien zu beteiligen. Keystone

Hat sich Putin an Europa gewandt, weil Donald Trump klargemacht hat, dass er nicht bereit sei, Geld einzuschiessen?

Es ist auch das Gefühl von Putin, dass er eine gute Verhandlungsposition gegenüber den Europäern hat. Wir brauchen ihn. Wir akzeptieren auch zunehmend seine Rolle in der Region und in gewisser Hinsicht auch Assad.

Wir beobachten eine Entfremdung der EU von den USA.

Natürlich spielt auch die aktuelle US-Politik eine Rolle. Wir beobachten eine Entfremdung der EU von den USA. Und Europa hat zunehmend das Gefühl, es brauche Russland für bestimmte Themen, und eben auch für Syrien.

Russland hat – neben den USA und vielen anderen – Syrien mit seinen Bomben mitzerstört. Ist das nicht zynisch, dass der Westen das jetzt wieder aufbauen soll?

So funktioniert internationale Politik leider oftmals. Das ist in der Tat zynisch. Moskau ist sich aber auch bewusst, wie wichtig es für Europa ist, dass diese Region wieder stabilisiert wird. Putin setzt darauf, dass die EU letztlich doch bereit ist, diese Konditionen zu akzeptieren und zu investieren.

Wäre solch ein Wiederaufbau auch ein Geschäft für Europa?

Das muss man aushandeln: Wer baut auf, wer verteilt die Gelder unter welchen Konditionen? Sind dies russische, chinesische oder syrische Unternehmen? Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer. Wie kann man dieses Land dauerhaft stabilisieren? Daran müssen auch Bedingungen geknüpft werden, die eine Form von Versöhnung in Gang bringen. Wer die Aufträge bekommt, ist zweitrangig.

Sollte Putins Ansatz also geprüft werden?

Wir können uns dem gar nicht entziehen. Wir müssen aufpassen, dass wir Putins oder Assads Bedingungen nicht bedingungslos akzeptieren, weil wir uns in einer Notsituation fühlen. Die EU hat eine Verhandlungsposition, und muss schauen, wie sie die Bedingungen klar formuliert und durchsetzt. Sie hat ein Interesse an Stabilität in Syrien und im Umfeld. Europa wird sich kaum entziehen können, diese Gespräche zu führen und sich möglicherweise auch finanziell zu beteiligen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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