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Wiederholte Stromabschaltung Atomkraftwerk Saporischja: Wie lange kann das noch gut gehen?

Das Atomkraftwerk Saporischja im Süden der Ukraine ist nach russischem Beschuss erneut vom Stromnetz getrennt. Die verbliebenen Hochspannungsleitungen seien getroffen und beschädigt worden, teilte der ukrainische Betreiber Energoatom mit.

Laut Sebastian Stransky, Sicherheitsexperte bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Deutschland, ist Situation zwar aussergewöhnlich und angespannt, nicht aber unmittelbar gefährlich.

Sebastian Stransky

Sicherheitsexperte

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Sebastian Stransky ist Sicherheitsexperte bei der Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Deutschland.

SRF News: Das AKW Saporischja ist derzeit auf 20 Dieselgeneratoren angewiesen, um seine Kernreaktoren kühlen zu können. Wie lange kann das gut gehen?

Sebastian Stransky: Der Vorrat reicht für 15 Tage. Das heisst: Innerhalb von 15 Tagen müsste die Stromversorgung zum ukrainischen Netz spätestens wiederhergestellt sein. Es besteht zudem die Möglichkeit, zusätzliche Diesel-Vorräte anliefern zu lassen.

Wir hatten diese Situation schon mal vor einigen Wochen, dass das AKW stromlos war und sowohl die ukrainische als auch die russische Seite zusätzliche Diesel-Vorräte an den Standort lieferten. Zudem ist es bei den vergangenen Stromausfällen jeweils nach zwei bis drei Tagen gelungen, die Stromversorgung zum ukrainischen Landesnetz wiederherzustellen.

Könnte es im AKW Saporischja zu einer Katastrophe kommen?

Realistisch gesehen und auf der Basis unserer Anlagenkenntnis und auch der technischen Möglichkeiten im Kraftwerk sehe ich in der derzeitigen Situation nicht die Gefahr einer Katastrophe. Die Anlagen im Kraftwerk arbeiten alle normal. Das Problem ist nur die konstante Stromversorgung. Genau dafür hat man die Dieselgeneratoren.

Bei der Entwicklung des AKW sind solche Ausnahmesituationen berücksichtigt worden. Zudem hat man aus den Ereignissen in Fukushima gelernt und im Rahmen des Europäischen Stresstests für alle europäischen Kernkraftwerke – auch die Ukraine hat daran teilgenommen – zusätzliche mobile Einrichtungen angeschafft, die die Kühlung der Brennelemente übernehmen können. Und das selbst dann, wenn die normalen Notstrom-Diesel nicht mehr funktionieren.

Angenommen, der Diesel geht nach 15 Tagen dennoch aus. Was passiert dann?

Wenn der Diesel ausgehen würde, könnte man die Kühlung mit den vor Ort installierten mobilen Einrichtungen aufrechterhalten. Man könnte etwa mit Feuerwehrpumpen Wasser einspeisen oder über Feuerwehraggregate zusätzlichen Strom zur Verfügung stellen. Also gäbe es noch eine letzte Verteidigungslinie.

Wie gefährlich ist es, dass das AKW ständig aus- und wieder eingeschaltet wird?

Das passiert ja nicht. Die Reaktoren selbst sind teilweise schon seit Monaten abgeschaltet. Die Kühlung der Brennelemente selbst ist nicht unterbrochen, sondern lediglich die Stromquelle ändert sich. Im Normalfall würde, wenn die Reaktoren ausgeschaltet sind, der Strom von ausserhalb kommen, aus dem Landesnetz.

Die Kühlung der Brennelemente selbst ist nicht unterbrochen, lediglich die Stromquelle ändert sich.

Wenn das Landesnetz ausfällt, dann springen die Dieselgeneratoren an und übernehmen die Kühlung der Brennelemente.

Welche Möglichkeiten gäbe es, die Gefahr, die vom AKW ausgeht, auf ein Minimum zu reduzieren?

Die Gefahr ist jetzt schon auf ein Minimum reduziert. Die Reaktoren laufen wie gesagt zum Teil seit Monaten nicht mehr. Von den ersten zwei Reaktoren geht nicht mehr viel Gefahr aus, weil die Brennelemente schon sehr weit abgekühlt sind. Und das Kraftwerk selbst ist ausgeschaltet.

Es laufen also nur noch die Anlagen, die notwendig sind für die Kühlung der Brennelemente. Aber es wird keine Energie aus den Brennelementen mehr erzeugt. Weniger geht nicht.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF4 News, 04.11.2022, 06.42 Uhr ; 

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