Sie sind häufig so winzig, dass man auf den Boden knien muss, um sie überhaupt zu sehen. Und genau das macht Karel du Toit, Leiter der Antiwilderei-Einheit im Nordkap immer wieder. Er ist regelmässig in der kargen Bergwelt unterwegs, die sich rund um die kleine Stadt Springbok im Nordkap ausbreitet.
Dort, an bestimmten Stellen, die nur Eingeweihte und Sukkulenten-Liebhaber kennen, wachsen einige der seltensten Sukkulenten Südafrikas. Manche sind so rar, dass sie nur in einem einzigen Tal wachsen oder auf einem Gebiet, das kleiner als ein Fussballfeld ist. Wer sie ausgräbt, kann in wenigen Stunden eine ganze Pflanzenart ausrotten.
Du Toit zeigt auf eine auf den ersten Blick unspektakuläre Pflanze, die aus mehreren kleinen abgeflachten Fingern bestehen scheint. «Das ist ein Conophytum, und zwar seht ihr hier die Mutterpflanze», erklärt er.
Bilder der Sukkulenten-Vielfalt in Südafrika
«Sie ist bestimmt zehn Jahre alt, diese Sukkulenten wachsen ja extrem langsam, nur einige Millimeter pro Jahr.» Diese Mutterpflanzen seien besonders begehrt, eben weil sie so alt seien. Doch wer sie ausgrabe, richte einen riesigen Schaden an: «Jede Mutterpflanze trägt hunderte von Samen auf sich. Die werden dann mit zerstört», seufzt du Toit.
Die Sukkulenten-Wilderei schmerzt die Seele
Der Polizist liebt die Karoo mit ihren bizarren Bäumen, einer einzigartigen Pflanzenwelt und insbesondere die Sukkulenten - die Wilderei tut ihm in der Seele weh. Der Kampf dagegen nimmt erst seit zwei Jahren fast seine ganze Zeit in Anspruch. Zuvor war er vor allem mit dem Diebstahl von Kühen und Schafen beschäftigt.
Seine Abteilung liegt in einem unmarkierten Haus ausserhalb von Springbok, einer kleinen Stadt auf dem Weg zur namibischen Grenze.
Je rarer, desto wertvoller
Die kürzlich konfiszierten Pflanzen befinden sich in einer Abstellkammer hinter einem einfachen Gitter, zusammen mit einem gestohlenen Kühlschrank und einem Fernseher.
Viele Wilderer meinen, sie müssten den Sukkulenten Wasser geben, doch genau so bringen sie sie um.
Du Toiut öffnet einen der Plastiksäcke und nimmt einige Conophyten raus, die braun und verrottet sind. «Viele Wilderer meinen, sie müssten den Sukkulenten Wasser geben, doch genau so bringen sie sie um.»
Dass die drei Plastiksäcke Zwergsukkulenten im Wert von mehreren Tausend Franken bergen, ist schwer zu glauben, doch je rarer eine wilde Pflanze ist, desto mehr ist sie auf dem Schwarzmarkt wert.
60’000 gestohlene Zwergsukkulenten
In seinem Büro, das so karg ist wie die Bergwelt rundherum, liegen auf dem Boden einige in Plastik eingeschweisste Handys, auf dem massiven Holztisch stapeln sich Dutzende von Akten, die bereit für das Gericht sind.
Bildergalerie
Gerade die Handys geben Aufschluss, wie die Wilderer operieren. Vor Covid hätten vor allem Männer aus dem asiatischen Raum die Sukkulenten gewildert, so seien Anfang 2020 zwei Südkoreaner für den Besitz von 60’000 Conophyten zu einer Busse von rund 300’000 Franken verurteilt worden.
Die Wilderei hat exponentiell zugenommen. Es läuft alles über Whatsapp.
Seit dem Ausbruch der Covidpandemie sei jedoch eine neue Zusammenarbeit zwischen Einheimischen und ausländischen Händlern entstanden, da das Reisen schwierig geworden sei. «Die Wilderei hat exponentiell zugenommen», sagt du Toit.
«Es läuft alles über Whatsapp. Die Händler im Ausland bestellen eine bestimmte Pflanze, schicken ein Foto, falls der einheimische Wilderer sie nicht kennt. Und sollte er sie nicht finden, erhält er einen Location-Pin, und die Sukkulenten werden auch schamlos und offen via soziale Medien oder im Internet verkauft», führt der Leiter der Antiwilderei-Einheit aus.
Kampf auf mehreren Ebenen
Tausende der gewilderten Sukkulenten, die aus irgendwelchen Gründen nicht ins Ausland gelangten, landen in lokalen Gärtnereien. Die meisten melden sie dem Institut für Biodiversität, doch auswildern kann man diese Zwergsukkulenten nicht mehr.
Karel du Toit überprüft regelmässig die Gärtnereien in seinem Bezirk. Sie brauchen eine Lizenz, um Sukkulenten aufzuziehen. Mit seinem geschulten Auge sieht er schnell, welche Pflanzen gezüchtet und welche in der freien Natur aufgewachsen sind.
«Die wilden Sukkulenten sehen nicht so sauber aus und viele haben vom Transport oder vom Ausgraben winzige Risse an der Oberfläche», führt er aus. Er habe auch schon gewilderte Arten mitten unten den Gezüchteten gefunden - so würden die illegalen Pflanzen quasi legalisiert.
Der Kampf gegen die Wilderei findet auf mehreren Ebenen statt. Die Polizei arbeitet mit den lokalen Grossbauern zusammen sowie mit der Bevölkerung. Wie die Wilderer hat auch sie ihre WhatsApp Gruppen, wo Tipps und Informationen ausgetauscht werden. Auch wenn sie mittlerweile ein Netzwerk an Informanten aufgebaut hat, die für Tipps, die zu Festnahmen führen, bezahlt werden, so scheint ihr Kampf beinah aussichtslos.
Die lokalen Wilderer sind bekannt
Um Präsenz zu markieren, positioniert sich die Einheit von Karel du Toit ab und zu in einer Nacht an einer verlassenen Sandstrasse und durchsucht die Autos, die in der Dunkelheit auftauchen.
Der Lenker des ersten kleinen Lastwagens transportiert um zehn Uhr abends einige Strohballen zu seiner entlegenen Schafherde, der zweite hat ein Schaf auf der Ladefläche, doch der dritte, ein Rasta mit ausgeprägten Wangenknochen und einem verschreckten Blick, ist für die Polizisten interessant.
Er hat nicht nur grosse Mengen von Haschisch in der Kühlerhaube versteckt, sondern auf seinem Handy, das er persönlich per Code zugänglich macht, sind etliche Fotos von Zwergsukkulenten zu sehen. «Das heisst nicht, dass er selbst ein Wilderer ist», präzisiert du Toit, «doch ist er eindeutig in irgendeiner Art in die Wilderei von Pflanzen involviert.»
Karel du Toit kennt den Rasta, es ist nicht das erste Mal, dass er ihn mit einer illegalen Menge von Haschisch erwischt. Doch verhaften bringt nichts, das ist ihm klar. Er hofft, den Mann zur Zusammenarbeit überzeugen zu können und bestellt ihn für den nächsten Tag in sein Büro.
Nachfahren des Urvolkes der Khoi San
Dass die Rastas der Gegend in die Wilderei von Sukkulenten verwickelt sind, ist allgemein bekannt. Doch in flagranti sind bis jetzt wenige erwischt worden. Die Rastas sind nicht zugewanderte Fremde, sondern junge Nachfahren des Urvolkes der Khoi San.
Sie fühlen sich, oft berechtigt, von der Regierung vernachlässigt und vor allem haben sie kein Land. Das Land, so steinig und unattraktiv es sein mag, gehört auch im Nordkap zum grössten Teil immer noch den Weissen.
In dieser abgelegenen Gegend gibt es kaum Arbeitsplätze ausser in einer der Minen oder auf dem Hof von einem weissen Schafbauer. Die Mehrheit der Bevölkerung - und das sind eben die Nachfahren der Khoi San – schlägt sich mehr schlecht als recht durch und wohnt in einfachsten Verhältnissen, oft ohne fliessend Wasser.
Wir kennen die Pflanzen am besten, unser Volk hat schon immer mit Pflanzen gearbeitet, sie garantieren unser Überleben.
Zudem brauchen die Nachkommen der Khoi San für das Sammeln von Pflanzen, auch solchen für medizinische Zwecke, eine Bewilligung. «Das ist doch nicht richtig», meint ein Mann, der mit seinen Freunden auf dem Trottoir im Herzen von Springbok sitzt und getrocknete Kräuter und Baumrinden als Naturmedizin anbietet. «Wir kennen die Pflanzen am besten, unser Volk hat schon immer mit Pflanzen gearbeitet, sie garantieren unser Überleben.»
Auf die Frage, wer denn nun genau zu den Wilderern gehöre, sagt er offen: «Mein Volk, wir alle wildern. Ohne das haben wir kein Einkommen. Damit werden wir auch nicht aufhören.»
Mein Volk, wir alle wildern. Ohne das haben wir kein Einkommen. Damit werden wir auch nicht aufhören.
Dass seine Ahnen immer für ein Gleichgewicht in der Natur sorgten und nur so viel nahmen, wie sie brauchten, und sie, die Nachfahren, mit der Wilderei die eigene Pflanzenwelt gefährden, lässt er so nicht gelten.
Seine Generation müsse auch überleben und das sei die einzige Möglichkeit, meint er abschliessend. Solange dieses Grundproblem nicht gelöst ist, wird es auch nicht möglich sein, die Wilderei zu stoppen - zu verlockend ist es, in einer einzigen Nacht Tausende von Franken zu verdienen.