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Winterspiele in Peking Ai Weiwei: «Ein Boykott der Olympischen Spiele ist lächerlich»

Die Olympischen Winterspiele in Peking stehen vor der Tür. Menschenrechtslage, Corona, keine Wintersport-Tradition: Selten war die Kritik an Olympia grösser. Zahlreiche Regierungen boykottieren den Anlass. Der chinesische Künstler Ai Weiwei kritisiert im SRF-Interview den Westen für seinen Umgang mit China.

Ai Weiwei

Künstler und Aktivist

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Der 1957 geborene Ai Weiwei ist einer der bekanntesten chinesischen Künstler. Nach regierungskritischen Äusserungen während der Proteste in China im Jahr 2011 wurde er für mehrere Monate inhaftiert. Bis 2015 wurde er mit einem Reiseverbot belegt. Seither lebt er im europäischen Exil – derzeit in Portugal.

SRF News: In wenigen Tagen beginnen die Olympischen Spiele in Peking. Verschiedene Regierungen – die USA, Dänemark, Japan – haben entschieden, die Spiele zu boykottieren. Sie sagen: Das ist die falsche Strategie?

Ai Weiwei: Der Effekt ist nicht nur gleich null, es ist ein Zeichen für China, dass der Westen an Stärke einbüsst, dass ihm keine stärkeren Mittel zur Verfügung stehen.

Wenn der Westen die Spiele boykottiert, tut er das nur, um seine eigene Bevölkerung zufriedenzustellen.

Wenn der Westen die Spiele boykottiert, tut er das nur, um seine eigene Bevölkerung zufriedenzustellen. Um sagen zu können: «Schaut, wir tun immer noch etwas!» Eine Sportveranstaltung zu boykottieren ist lächerlich. Es gäbe so viele andere Optionen als eine solche Verlegenheitslösung. Und die Antwort Chinas war sehr deutlich: «Warum sprecht ihr von einem Boykott? Ihr wart ja nicht mal eingeladen.»

China sieht die Tatenlosigkeit des Westens in Bezug auf die Menschenrechte. Bestärkt das die chinesische Regierung in ihrer Politik?

Ich glaube, dass der Westen nicht länger in der Lage ist, sich zu den Menschenrechten in China zu äussern. Der Westen hat diesbezüglich selbst genügend Probleme. China würde den Westen auslachen, wenn er die Menschenrechte oder die Demokratie auf den Verhandlungstisch bringen würde. Beide wissen das – China und der Westen.

Der Westen hat China zu seiner Stärke und seiner Rolle verholfen.

Was also kann der Westen – oder ein Land wie die Schweiz – im Umgang mit China tun? Muss man sich selber eine Grenze setzen und sagen: Bis hierhin und nicht weiter? 

Ich glaube, der Westen kann nicht viel tun, weil er so stark von China abhängt. China ist China geworden dank des Westens, er hat China zu seiner Stärke und seiner Rolle verholfen. Die Schweiz ist eine kleine Nation und profitiert natürlich sehr von den Wirtschaftsbeziehungen zu China. Und das wird sich auch nicht ändern. Business ist Business.

Für die Olympischen Spiele 2008 haben Sie gemeinsam mit den Schweizer Architekten Herzog und de Meuron das Stadion «The Bird’s Nest» entworfen. Es sollte Freiheit und Offenheit symbolisieren. Doch es kam anders?

Ja, unser guter Wille war da. Aber natürlich waren wir naiv. Und wie sich gezeigt hat, haben sich die Dinge in China in eine andere Richtung entwickelt.

China denkt: ‹Wir sind stärker und besser als ihr. Und wir zeigen euch, wie die neue Weltordnung aussehen wird.›

Sind Sie enttäuscht, dass die Spiele wieder in China stattfinden? 2008 sprachen Sie von einem Tiefpunkt.

2008 war viel einfacher als jetzt. 2008 wollte die Kommunistische Partei einfach Ruhm und Ehre. Man wollte der Welt zeigen: «Wir sind Teil von euch! Schaut, wie weit China gekommen ist!» Doch jetzt ist 2022 und der Ton hat sich komplett verändert. China denkt: «Wir sind stärker und besser als ihr. Und wir zeigen euch, wie die neue Weltordnung aussehen wird.» Das mag ein wenig arrogant und lächerlich sein, aber das ist der Unterton.

2011 waren Sie im China in Gefängnis, aus unspezifischen Gründen. Seither leben Sie im Exil, aktuell in Portugal. Denken Sie, dass Sie jemals nach China zurückkehren werden?

Mein Geist und mein Herz sind immer in China. Und ich bin immer noch chinesischer Bürger, besitze den Pass. Ich kann also jederzeit zurückkehren. Die Frage ist: Wäre ich frei oder in Gefangenschaft?

Das Gespräch führte Barbara Lüthi.

Club, 25.1.22, 22:25 Uhr ; 

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