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Wohin mit Europa? Schicksalswahl: Franzosen wollen radikalen Wechsel

Es muss ein Wechsel her: Frankreich rüstet sich für einen historischen Wahlkampf, dem halb Europa entgegen zittert.

Die besten Zeiten sind vorbei, passé. Das merkt hier in der Region Lorraine, im Nordosten Frankreichs, jeder. Jahrelang lebte man in der Lorraine von der Schwerindustrie, produzierte Stahl und Kohle. Riesige Fabriken boten in den besten Zeiten 17‘000 Arbeitsplätze. Ein ganzes Tal prosperierte. Doch die Globalisierung veränderte die Bedingungen. Viele der Fabriken schlossen ihre Produktionsstätten in der Region, Unternehmen fusionierten – übrig blieb ein einziger grosser Produzent: ArcelorMittal, der weltweit grösste Stahlproduzent.

Strassenschild mit dem durchgestrichenen Ortsnamen Florange
Legende: Dem Städtchen Florange den Rücken gekehrt Die Schwerindustrie verliess die Gegend und sorgte für den industriellen Niedergang. Reuters

Wirtschaftlich schwierige Zeiten, aber auch die Terroranschläge in Paris und Nizza veränderten die Stimmung. Frankreich steht vor einem Umbruch. Im April wählen die Franzosen ihren neuen Präsidenten – oder ihre neue Präsidentin. Der amtierende Sozialist François Hollande, der als der unbeliebteste Präsident aller Zeiten gilt, tritt nicht einmal mehr zur Wiederwahl an.

Während die Sozialisten einen Kandidaten suchen, zittert halb Europa vor einer der beiden Favoriten: Marine Le Pen. Mit ihrer Mischung aus «Frankreich zuerst» und sozialistischen Rezepten hat sich die Präsidentin des Front National eine gute Ausgangslage geschaffen, verspricht mit einer Rolle rückwärts die guten alten Zeiten wieder aufleben zu lassen.

Ihr härtester Konkurrent ist François Fillon, Kandidat der Republikaner. Er will mit radikalem Wirtschaftsliberalismus und Staatsabbau Frankreich neu ausrichten.

Blick auf einen Turm des 2013 geschlossenen Stahlwerks von ArcelorMittal in Hayange-Florange
Legende: Zum Sterben verurteilt: 2013 schloss ArcelorMittal in der Lorraine-Region auch die Hochöfen von Hayange-Florange. Reuters

«Die Leute wollen einen radikalen Wandel»

Im Norden der Region Lorraine liegt das Städtchen Florange. Florange ist landesweit zum Symbol des industriellen Niedergangs geworden. Ausgerechnet hier regiert nun seit einem Monat der jüngste Bürgermeister des Landes: Rémy Dick, 22 Jahre, Republikaner. Er glaubt, dass 2017 ein entscheidendes Jahr wird. «Egal welcher Kandidat es ist, welche Ideologie – die Leute wollen eine Veränderung der aktuellen Situation. Sie wollen einen Bruch, einen radikalen Wandel.»

Le Pen und der republikanische Kandidat Fillon stehen als radikale Veränderer hoch im Kurs – in der ehemals «roten» Region Lorraine und im ganzen Land.

Denn mit den wirtschaftlichen Problemen, mit dem Stillstand, damit hat das ganze Land zu kämpfen.

2012 schloss auch ArcelorMittal die letzten Hochöfen in der Lorraine. Gewerkschafter und Arbeiter wehrten sich ein letztes Mal. Nachdem Nicolas Sarkozy den wirtschaftlichen Niedergang nicht stoppen konnte, wurden die Wähler auch von den Versprechen des Sozialisten François Hollande, dem amtierenden Präsidenten, enttäuscht. Übrig blieben trotz Investitionen der Regierung nur wenige Arbeitsplätze.

Perspektivlosigkeit und Enttäuschung

Seither kämpft die Region gegen die Arbeitslosigkeit, gegen die Perspektivlosigkeit, gegen die Enttäuschung. «Mit Frankreich geht es bergab. Als ich jünger war, da haben wir Frankreich noch gerühmt. Heute habe ich den Eindruck, dass wir heruntergekommen sind», erzählt ein Anwohner.

In der ehemaligen Arbeiterbastion steht die Linke wohl auf verlorenem Posten. Die Leute setzen auf die Republikaner oder auf die extreme Rechte. «Es bleibt nur Marine Le Pen», sagt ein Arbeiter beim Feierabendbier im «Café de la Mairie». Und selbst eine junge Gemeinderätin, die zur rechten Mehrheit gehört, sagt: «Ich habe ein bisschen das Gefühl, man kann nur zwischen Pest und Cholera wählen. Ob es nun links oder rechts war, ich wurde immer enttäuscht. Seit ich wählen kann.»

Es muss eine Regierung sein, die ihre Versprechen hält, die etwas verändert und zwar nicht nur für Frankreich. Darin ist man sich einig in Florange.«Für Europa wird es eine entscheidende Wahl, die zeigt, ob das zweitgrösste Land ins Lager der Anti-Europäer wechselt oder nicht», sagt Jung-Bürgermeister Rémy Dick.

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