Helmut Kohl war der erste amtierende Bundeskanzler, der die Schweiz überhaupt besuchte. Erstmals 1989, damals empfing ihn Jean-Pascal Delamuraz. Das zweite Mal – vier Jahre später – empfing ihn der damalige Bundespräsident Adolf Ogi.
SRF News: Herr Ogi, wie haben sie Helmut Kohl damals erlebt?
Adolf Ogi: Helmut Kohl war ein grosser Europäer mit selbstbewusstem Auftritt, der uns Schweizer respektiert hat. Er hat uns verstanden und geschätzt: unser politisches System und unsere Neutralität. Zudem war er für uns, und das ist sehr wichtig, immer wieder zugänglich für Probleme mit Deutschland oder Europa.
Sein Schaffen wird gerade wiederentdeckt. Er wurde zu Lebzeiten viel zu wenig gewürdigt.
Was war er vom Charakter her für ein Mensch?
Seine Postur sagt eigentlich alles aus. Er war ein Mann, der mit allen Staatsmännern der Welt auf gleicher Höhe reden konnte. Wir dürfen nicht vergessen, was er ausgelöst hat: Die Mauer ist gefallen, der Warschauer Pakt brach zusaammen, DDR und BRD haben sich vereint. Und er hatte die geschichtlich bedeutende Kraft, dafür zu sorgen, dass Europa friedlicher und stabiler wurde. Helmut Kohl ist ein Mann, der viel zu wenig gewürdigt wurde für seine europäische politische Arbeit.
Das geschieht erst jetzt – nach seinem Tod.
Es scheint so. Er wird gerade wiederentdeckt und man sieht, welche Vision er hatte. Eine innenpolitische Vision im Zusammenhang mit der damaligen DDR und eine aussenpolitische Vision zu Europa. Aber ich möchte noch einmal unterstreichen, wie er auch die Schweiz behandelt hat: mit Verständnis, mit Wohlwollen, mit der Bereitschaft, uns zu unterstützen. Die Schweiz sei ein Beispiel für Europa, hat er mir in einem Smalltalk einmal gesagt. Sie habe 1848 das gemacht, was Europa heute versuche. Vier Kulturen, vier Sprachen, die 26 Kantone, die Vielfalt in der Einheit – die Schweiz sei ein Beispiel, von dem Europa nur lernen könne, sagte Kohl.
Das Gespräch führte Stefan Kohler.