Zum Inhalt springen

Zunahme an Gewalttaten «In Kolumbien gibt es eine neue Form von Massakern»

Gewalttaten haben in Kolumbien stark zugenommen. Opfer sind oft politisch aktive Personen. Gemäss Zahlen des unabhängigen Instituts für Entwicklung und Frieden Indepaz sind in diesem Jahr bereits über 180 Aktivistinnen und Aktivisten ermordet worden. Die Gründe dafür seien vielschichtig, sagt die freie Journalistin Katharina Wojczenko, die in Bogota lebt. Mit ein Grund dafür sei die Coronakrise.

Katharina Wojczenko

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Katharina Wojczenko arbeitet als freie Journalistin in Mittel- und Südamerika. Sie lebt in Bogota, Kolumbien.

SRF News: Wieso ist die Gewalt in Kolumbien so stark angestiegen?

Der erste Grund ist, dass seit dem Friedensabkommen mit der Farc ein Machtvakuum entstanden ist. Die Farc-Guerilla hat bestimmte Gebiete im Land verlassen, und der kolumbianische Staat hat es nicht geschafft, sich dort zu etablieren. In diesem Machtvakuum kämpfen derzeit verschiedene bewaffnete Gruppen um die Vorherrschaft. In der Coronakrise verstärkt sich das Ganze noch zusätzlich. Ein Phänomen, das in den letzten zwei Wochen vermehrt vorgekommen ist, ist eine neue Form von Massakern.

Die Menschen werden geköpft, gevierteilt und ihre Körperteile werden auf dem ganzen Gelände verteilt, um möglichst viel Angst und Schrecken zu verbreiten.

Was meinen Sie damit?

Die Massaker, die man aus der kolumbianischen Geschichte kennt, sind Massaker mit vielen Opfern, 30 getöteten Menschen. Neu ist nun, dass es viele kleine Massaker sind, mit zwei oder drei Toten, die auf besonders brutale Weise ermordet werden. Die Menschen werden geköpft, gevierteilt und ihre Körperteile werden auf dem ganzen Gelände verteilt, um möglichst viel Angst und Schrecken zu verbreiten. Das Ganze wird auch noch gefilmt und verbreitet.

Wer steckt hinter diesen Gewalttaten?

Das ist schwer zu sagen, weil die Staatsanwaltschaft offiziell noch ermittelt. Aber Menschenrechtsorganisationen und Stiftungen, die das Ganze seit Jahren beobachten, sagen, es seien vor allem Drogenbanden, paramilitärische Gruppen und Guerilla-Banden. Darunter fallen die dissidenten Gruppen der Farc. Es gibt solche, die die Waffen niemals niedergelegt haben und solche, die wieder zu den Waffen gegriffen haben und die ELN-Guerilla.

Wer sind die Opfer?

Vereinfacht gesagt sind es alle, die sich diesen Gruppen entgegenstellen. Das ist eine relativ breite Palette von Menschen. Das können Koka-Bauern sein, die kein Koka mehr anbauen, sondern sich an den Ersatzprogrammen der Regierung beteiligen und künftig legale Feldfrüchte anbauen wollen. Sie werden so unter Druck gesetzt, beim Koka-Anbau zu bleiben. Es können auch Umweltschützer oder Menschen sein, die sich für Landrechte einsetzen. Laut dem Global Witness Report ist Kolumbien führend bei den Morden an Umweltaktivisten.

In einem Drittel aller Regionen in Kolumbien bestimmen bewaffnete Gruppen die Corona-Massnahmen.

Welchen Einfluss hat die Coronakrise?

Die Coronakrise ist für die bewaffneten Gruppen eine Riesenchance. Zum einen sind die Aktivistinnen und Aktivisten deutlich einfacher zu orten, weil sie in Quarantäne sein sollen. Man weiss genau, wo sie sind, da können sie leichter ermordet werden. Zum anderen haben die bewaffneten Gruppen in dieser Zeit ihre Macht weiter ausgebreitet. Gemäss einem aktuellen Report von Human Rights Watch sind es in einem Drittel der Regionen in Kolumbien die bewaffneten Gruppen, welche die Ausgangssperren verhängen, die Quarantäne aufstellen und die Leute bedrohen oder sogar umbringen, wenn diese nicht folgen. Die Regeln dieser Gruppen sind sehr willkürlich. Zudem wird die Situation für die Menschen immer schwieriger, weil es zum Beispiel Leute gibt, die nicht mehr aus dem Haus dürfen, um zu fischen, und dann verhungern sie.

Das Gespräch führte Janis Fahrländer.

SRF 4 News, 11.08.2020; 06:46 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel