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Zweiter Weltkrieg Roter Mohn ist das Symbol der britischen Gedenkkultur

Ob Königin oder Untertan: Die Briten erinnern mit Mohnblumen an die Gefallenen. Veteranen bauen die blumigen Kunstwerke.

Zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai wird der Tower in London mit 30'000 Keramikmohnblumen geschmückt. Das botanische Kunstwerk ist kein Zufall: Die Mohnblume ist immer präsent, wenn die Britinnen und Briten jenen gedenken, die im Krieg gefallen sind.

Das Symbol des Gedenkens wird in der «Mohnblumenfabrik» von Hand hergestellt – von Kriegsveteranen wie Sergeant David Thomson.

Kriegsveteranen im Blumeneinsatz

Stängel, Kelchblätter, Blüte. Schritt für Schritt bringt Sergeant David Thomson seinen Arbeitsplatz zum Blühen. «Ich stecke mit meinen Kameraden Mohnblumen zusammen. Zuerst nehmen wir einen Stängel aus Kunststoff, dann folgen die Kelch- und Blütenblätter aus Papier. Diese Blumen stecken sich die Menschen im Vereinigten Königreich an Gedenktagen ins Knopfloch.»

Mann sitzt an Schreibtisch mit Union Jack und Bastelmaterialien.
Legende: Gedenkblumen von Kriegsveteranen: David Thomson kam bei einem Armee-Einsatz knapp mit dem Leben davon. SRF / Patrik Wülser

Thomson sitzt in Tarnhosen im Rollstuhl in der Montagehalle der Mohnblumenfabrik im Südwesten Londons. Der 64-jährige Küchen-Sergeant der Royal Army diente in Kanada, Nordirland und Afrika. Bis zu jenem Tag, als er mit einem Jeep verunfallte und ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Er sei knapp mit dem Leben davongekommen. Verloren hat er dagegen sein Langzeitgedächtnis. Problemlos erinnern könne er sich lediglich an seine militärische Dienstnummer «24483481, Thomson David, GSM, General Service Medal.»

Sergeant Thomson ist einer von sechzig Kriegsveteranen, die in «The Poppy Factory» von Richmond arbeiten. Geführt wird die Mohnblumenfabrik von Jeff Short, der fast 30 Jahre lang als Offizier auf britischen U-Booten gedient hat.

«Die Mohnblumenfabrik wurde 1922 nach dem Ersten Weltkrieg gegründet. Versehrte Kriegsveteranen erhielten so eine Beschäftigung und ein Einkommen. In den 1920er- und 1930er-Jahren arbeiteten hier 600 Leute. Sie produzierten Mohnblumen zum Anstecken und Kränze für zeremonielle Gedenkanlässe.»

Ein Symbol fürs Blutvergiessen, aber auch für die Hoffnung

Dass zum Gedenken Mohnblumen verwendet werden, sei auf das berühmte Gedicht des kanadischen Offiziers John McCrae zurückzuführen. Dieser beschrieb 1915 in seinem Gedicht «Auf Flanderns Feldern», wie der rote Klatschmohn die erste Blume gewesen sei, die auf den Gräbern auf den Schlachtfeldern geblüht habe. «Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn zwischen den Kreuzen, die Reihe an Reihe unsere Platz markieren.» So beginnt das Gedicht.

John McCrae: «Auf Flanderns Feldern»

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«Auf Flanderns Feldern blüht der Mohn zwischen den Kreuzen, die Reihe an Reihe unsere Platz markieren; und am Himmel fliegen die Lerchen, noch tapfer singend, kaum zu hören zwischen den Kanonen auf der Erde.

Wir sind die Toten. Vor wenigen Tagen lebten wir, fühlten die Morgendämmerung, sahen das Glühen des Sonnenuntergangs, liebten und wurden geliebt, und jetzt liegen wir auf Flanderns Feldern.»

Der rot blühende Mohn ist im Vereinigten Königreich bis heute das Symbol des Gedenkens geblieben. An jene, die in einem Krieg für ihr Land ihr Blut vergossen haben. Aber ebenso als Symbol der Hoffnung, dass das Leben weitergeht.

Egal ob König oder Untertan. Regierung oder Opposition. In den Stunden des Gedenkens eint die Mohnblume im Knopfloch die britische Nation.

Wenn Königinnen und Könige am alljährlichen Gedenksonntag im November im Herzen von London jeweils ihre Mohnblumenkränze niederlegen, steckt in dieser Geste auch viel geduldige Handarbeit von Sergeant Thomsen und seinen Kameraden in der Mohnblumenfabrik in Richmond.

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