Was soll man da schon sagen? Jetzt, so kurz davor. Bruno Kislig kratzt sich die grauen Haare unter dem gelb-schwarzen Beret, das ihm noch seine Mutter gehäkelt hat: «Nach 32 Jahren rauche ich wieder einmal einen Stumpen. Ich habe nie geraucht, aber jetzt werde ich es wieder machen. Wie damals auf der Maladière.»
So wie damals, Samstag 24. Mai 1986: «Wir sind mit dem Car nach Neuenburg gefahren, und ich hatte den Haar-Aff bei mir.» Der Haar-Aff, der alte fellbesetzte Militärtornister. «Natürlich hatte ich auch eine Flasche Schämpis dabei und einen Stumpen. Wie es sich halt gehört.»
Ein Andenken für die Ewigkeit
YB gewinnt vor über 21'000 Zuschauern 4:1 gegen Xamax. «Xamax hat sogar das erste Tor erzielt», erinnert sich Kisling, «dann zweimal Lunde und Zuffi, oder?» Die Sensation: YB ist Schweizermeister. «Nach dem Match hat Goalie Zurbuchen seine Handschuhe ins Publikum geworfen, und ich habe einen erwischt.» Es war der linke.
Kislig besitzt den mittlerweile etwas spröden YB-Zurbuchen-Goalie-Handschuh noch immer: «Ich bewahre ihn in einem schönen Rahmen auf.»
In Bern war damals eigentlich nichts los.
YB holt an diesem Mai-Abend 1986 in Neuenburg zwar den Titel, aber als Kislig in der Nacht wieder nach Bern zurückkehrt, herrscht dort in der Innenstadt, an der sogenannten Front, wo mehrere Beizen nebeneinander stehen, alles andere als Meisterstimmung: «Ich bin dahin gekommen, kein Mensch war da. Dann bin ich runter zur Bellevue-Bar. Ich dachte, dass sie mich nach fünf, zehn Minuten rauswerfen.» Es sei dann doch ganz gut gewesen, sagt Kislig. Aber trotzdem: «In Bern war damals eigentlich nichts los.»
Kislig, der unüberhörbare YB-Fan, nimmt seine Treichel mit zu jedem Match. Auf ihr sind die Unterschriften der Spieler vom Meisterjahr 1986 verewigt: Lunde, Weber, Bregy und Co. All die YB-Helden von damals eben.
Für mich ist und bleibt es das Wankdorf. Ihr könnte dem sagen wie ihr wollt.
Erinnerungen an die eigene Kindheit. Der junge Kislig durfte als Knabe, als «Gieu», nicht in einen Fussball-Club. «Man Vater hat uns nicht Fussballspielen lassen. ‹Euch da auf die Schenkel zu geben, das kann es nicht sein. Ich habe schlauere Büez für euch.› Wir mussten damals noch zuhause helfen.» Vielleicht sei er dem Fussball auch so verbunden, weil er selbst nie habe spielen dürfen. «Es muss schon ein bisschen daran liegen», sagt Kislig.
Wie eine zweite Familie
Kislig erinnert sich an das alte Wankdorfstadion, dem neuen soll man ja «Stade de Suisse» sagen:«Für mich ist und bleibt es das Wankdorf. Ihr könnte dem sagen wie ihr wollt.» Und er erinnert sich an das YB von einst. «Lange war es wie eine zweite Familie. Jetzt hat sich das vielleicht mit den vielen Spielern aus dem Ausland etwas verändert, aber YB bleibt wie eine zweite Familie für mich.»
Kislig ist verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne, hat fast 40 Jahre auf dem Bau gearbeitet und ist YB immer treu geblieben. «Ein echter Berner gehört zu YB, auch wenn der Schnee schmilzt, und auch wenn die Mannschaft mal absteigen sollte: Dann geht man trotzdem zu den Spielen. YB forever, das ist so.» Gelb-schwarz für immer, die YB-Farben, Kisligs Farben.
Und jetzt, was soll man da schon sagen. So kurz davor. Er werde einfach ins Wankdorf gehen. Sitzplatz 429, Sektor D9, Balkon. Werde vor Nervosität nichts essen können. Wie vor jedem Spiel.
«Es gibt einen knappen Sieg, aber es gibt einen Sieg», ist Kislig überzeugt. «Und nach dem YB-Match, wenn wir dann wirklich Meister sind, gehen wir ganz sicher noch nicht nach Hause. Die Hölle wird los sein!» Anders als vor 32 Jahren. Ganz bestimmt.