Es ist ein tragisches Kapital der Schweizer Geschichte: Bis in die 80er-Jahren haben die Behörden tausende Menschen in Heimen versorgt oder in Gefängnis gesteckt, ohne dass diese Personen etwas verbrochen hatten. Familien wurden auseinandergerissen. Kinder wurden verdingt, mussten bei Bauern arbeiten und wurden oft schlecht behandelt.
Die Opfer der sogenannten «Fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» und Fremdplatzierungen haben ein Anrecht auf eine Entschädigung durch den Bund. Um ihre Geschichte zu dokumentieren und belegen, haben die Staatsarchive auf Anfrage Nachforschungen angestellt.
Die Kantone Solothurn und Aargau haben nun der Öffentlichkeit Einblicke in einige Fälle gewährt. Die Besucher konnten sich in den Staatsarchiven ein Bild davon machen, wie vor einigen Jahrzehnten mit Leuten umgegangen wurde, die sich nicht an die damaligen moralischen Vorstellungen hielten.
Zwei Beispiele:
Solche und ähnliche Fälle haben das Solothurner und das Aargauer Staatsarchiv in den letzten Jahren aufgearbeitet. Etwa 300 Personen verlangten im Kanton Solothurn seit 2013 ihre Akten. Der Kanton Aargau bearbeitete rund 550 Gesuche.
Neben den Akten zu rund 300 zusammengestellten Dossiers, lagern im Keller des Solothurner Staatsarchivs tausende weitere Unterlagen. Man verfüge über eine Liste mit 40'000 Namen, auf die man im Zuge der Nachforschungen gestossen sei, erklärt der Solothurner Staatsarchivar Andreas Fankhauser. Bei Bedarf liessen sich aus den verfügbaren Akten innerhalb kurzer Zeit einzelne Dossiers zusammenstellen.
In den Akten fanden die Staatsarchive bei ihren Recherchen nicht nur Dokumente. Es tauchten auch Fotos auf, Briefe oder Kinderzeichnungen. Kinder, die seit ihrer Geburt in Heimen gelebt haben, könnten so einen Teil ihrer Geschichte nachvollziehen, sagt Dominic Egloff, der für das Aargauer Staatsarchiv die Nachforschungen angestellt hat.
Oft existierten keine Verwandten, welche den Betroffenen zu Ereignis aus ihrer Kindheit Auskunft geben können. Für viele Opfer von «Fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» und Fremdplatzierungen stehe nicht die finanzielle Entschädigung durch den Bund an erster Stelle, sondern Informationen auf die eigene Geschichte.
Die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Schweizer Geschichte kommt also voran. Für viele Opfer kommt diese jedoch reichlich spät – sofern sie überhaupt noch leben.