Zum Inhalt springen

«Nazifrei»-Demo Gummischrot an Demo: Videos belasten Basler Polizei

  • Nach systematischer Auswertung der Beweisvideos von der Basler «Nazifrei»-Demonstration reicht ein Anwalt Anzeige gegen die Polizei ein. SRF liegen die Videos vor.
  • Der Vorwurf: Die Polizei habe Gummischrot geschossen, obwohl es keine Bedrohung gab.
  • Polizei und Justiz weisen die Vorwürfe zurück und sagen, die Videos würden keine neuen Erkenntnisse bringen.

Im November 2018 versammelten sich in Basel etwa 100 Rechtsradikale, um gegen den UN-Migrationspakt zu demonstrieren. Der Aufmarsch war bewilligt. Mitglieder der rechtsextremen Partei Pnos hielten antisemitische Reden.

Wüste Szenen zwischen Polizei und Demonstranten

Dagegen protestierten rund 2000 Menschen. Sie stellten sich unter dem Slogan «Basel Nazifrei» den Rechten entgegen. Dabei kam es zu einer Eskalation. Die Polizei schoss Gummischrot – Demonstrierende warfen Steine.

Links sieht man Demonstrant:innen, rechts Politisten in Kampfmontur.
Legende: Die Polizei stellte sich 2018 zwischen die Pnos-Demonstration und die Gegendemonstration. SRF

Die Polizei ging damals hart gegen die Teilnehmenden der nicht bewilligten Gegendemonstration vor. Auch die Justiz griff durch: Im Nachgang zur Demo gab es rund 60 Anzeigen, die sich fast ausnahmslos gegen Teilnehmende der Gegendemonstration richteten.

Prozesslawine gegen Demo-Teilnehmende

Box aufklappen Box zuklappen

Bislang verurteilte das Basler Strafgericht gut 30 Teilnehmer der Demo - teils zu mehrmonatigen Haftstrafen. Eine Frau erhielt acht Monate Gefängnis unbedingt. Dieses Urteil führte zu Kritik, zumal der Verurteilten lediglich die Teilnahme an der Gegendemonstration, aber keine Gewalttaten zur Last gelegt worden waren.

Rund 20 erstinstanzlich Verurteilte machen Rekurs gegen das Urteil.

Videoaufnahmen rückten den Polizeieinsatz nun in ein schlechtes Licht, sagt Anwalt Andreas Noll: «Sie zeigen, dass die Situation vor dem Gummischrot-Einsatz friedlich war und es keine Anzeichen von Gewalt gab.» Erst danach warfen die Demonstranten Steine gegen die Polizei, so Noll.

«Man darf sich wehren, wenn man rechtswidrig angegriffen wird», sagt Noll weiter. «Es gab für die Polizei keine Bedrohungssituation. Dann dürfen die Beamten keinen Gummischrot einsetzen aus einem Abstand von weniger als 20 Metern.»

Fragen zum Einsatz stellt sich auch der ehemalige Basler Polizeikommandant Markus Mohler. Der Experte für Polizeirecht betont zwar, dass die Polizei eine unbewilligte Demonstration auflösen kann – und wenn Bereiche wie der öffentliche Verkehr eingeschränkt werden, dazu auch verpflichtet sei. Auch sei unter diesen Umständen der Einsatz von Gummischrot gängig. Trotzdem würden sich zur Umsetzung Fragen stellen: «Die Warnung der Polizei per Megafon ist auf diesen Videoausschnitten nur schwer verständlich. Und der Einsatz von Gummischrot kam schnell. Es ist kaum Zeit geblieben, der Aufforderung, den Platz zu verlassen, nachzukommen», sagt Mohler, der heute als Experte für Polizeirecht tätig ist.

Forderung nach unabhängiger Untersuchung

Anwalt Noll will nun, dass der Einsatz untersucht wird und reicht deshalb eine Anzeige gegen die Polizei ein. Er fordert ausserdem eine unabhängige Untersuchung, also eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft.

Linke demonstrieren gegen Rechtsradikale

Behörden sehen kein Fehlverhalten

Zu den Vorwürfen heisst es von den Basler Justizbehörden, dass die Videos keinen Anlass für neue Erkenntnisse geben würden: «Der Mitteleinsatz während der Kundgebung vor drei Jahren wurde medial und politisch schon x-fach thematisiert.»

Die Polizei vertritt den Standpunkt, dass es eine Bedrohungssituation gegeben habe. Demonstrierende hätten versucht, die Polizeikette zu durchbrechen. Der Gummischrot-Einsatz habe weitere Eskalationen verhindert.

Brisanter Dialog unter Polizisten

Box aufklappen Box zuklappen

Auf den Video sind nicht nur Bilder der Eskalation zu sehen. Es sind auch Original-Kommentare von Polizisten zu hören, die den Einsatz aus der Ferne beobachten.

Offensichtlich wundern sie sich über den Einsatz ihrer Kollegen, wie zum Beispiel dieser Ausschnitt zeigt:

Polizist A hört man sagen: «Diese Steine wären nicht geflogen, wenn wir nicht Gummi (Gummischrot) gegeben hätten.»

Polizist B fragt nach: «Haben sie zuerst Gummi gegeben?»

«Ja.» – «Wieso?»

Polizist A: «Als Ablenkung, damit die Pnos weg kann.»

Polizist B: «Das geht doch nicht. Ich find das heikel, muss ich ehrlich sagen. Also das ist jetzt knapp aufgegangen.»

Auch die Basler Staatsanwaltschaft äussert sich mit Verweis auf das Verfahren zurückhaltend. Sprecher Martin Schütz sagt: «Selbstverständlich werden wir nun alle notwendigen rechtlich korrekten Schritte einleiten, damit die Anzeige von Anwalt Andreas Noll unabhängig und ergebnisoffen beurteilt und behandelt wird.»

Bringt unabhängige Untersuchung Klarheit?

Waren der Polizeieinsatz und die Strafanzeigen der Basler Behörden übertrieben oder verhältnismässig – Klärung bringen könnte eine unabhängige Untersuchung. Die Behörden prüfen nun, ob eine solche eingeleitet wird.

Keine Eile bei Anzeige gegen Pnos-Redner

Box aufklappen Box zuklappen

Eine Strafanzeige des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund SIG gegen Tobias Steiger wegen seiner antisemitischen Rede beachtete die Basler Staatsanwaltschaft lange nicht. Dies, obwohl Steiger seine Rede unter den Augen der Polizei gehalten und danach auch noch veröffentlicht hatte. Dass der Prozess gegen Steiger lange nicht vorangetrieben worden war, kritisierte nicht nur der SIG, sondern auch die Aufsichtskommission der Staatsanwaltschaft. Mittlerweile ist Steiger verurteilt worden wegen antisemitischer Rassendiskriminierung.

SRF 10 vor 10, 1512.2021, 21:50 Uhr

Meistgelesene Artikel