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Britisches Königshaus «Kein Interview bringt die tausendjährige Tradition zum Einsturz»

Bei US-Talkmasterin Oprah Winfrey haben sich Herzogin Meghan und Prinz Harry ausführlich dazu geäussert, warum sie ihre royalen Pflichten aufgegeben und Grossbritannien verlassen haben. Meghan wirft dem Königshaus unter anderem Rufmord und einzelnen Mitgliedern auch Rassismus vor.

SRF hat mit dem Journalisten Thomas Kielinger über die Relevanz des Interviews für die Royals und für ganz Grossbritannien gesprochen.

Thomas Kielinger

Journalist und Buchautor

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Thomas Kielinger ist regelmässiger Mitarbeiter der BBC und war viele Jahre lang als Korrespondent für die «Welt» in London tätig. Neben anderen Büchern über britische Polit-Themen hat er eine Biographie über Queen Elizabeth II. geschrieben.

SRF: Herr Kielinger, wird es jetzt langsam aber sicher ungemütlich für das britische Königshaus?

Thomas Kielinger: Ein bisschen ungemütlicher ist es heute, als es vor einer Woche war. Denn die Herzogin ist da einige Geschosse losgeworden, die doch wohl ins Herz des Königshauses treffen und auf dessen Hoffnung auf ein sympathisches Bild abzielen. Das Prestige der Royal Family ist durchaus beschädigt nach diesem Interview. Einen gewissen Schaden hat das Königshaus genommen.

Aber die Queen ist doch schon so viele Jahre auf dem Thron. Sie hat schon so manche Krise ausgestanden und überstanden. Ist das nicht einfach eine Krise mehr?

Es ist eine Krise mehr. Aber jede Krise kommt zu ihrem eigenen Zeitpunkt. Und der ist immer mal ein falscher Zeitpunkt. Die Krise um Diana war natürlich überschattet vom Tod der beliebten Prinzessin. Diese Krise nun ist davon überschattet, dass die Kulturen, die die Familie bestimmen – eine junge Angelegenheit und eine alte Tradition – , dass die nicht miteinander auskommen.

Die Herzogin ist einige Geschosse losgeworden, die doch wohl ins Herz des Königshauses treffen.

Nun wissen wir ja seit der Netflix-Serie «The Crown», dass die Royal-Windsor-Familie ein Problem hat mit dem Management von Familienproblemen. Sie reden ungern darüber. Das hat man schon seit langer Zeit «Ostriching» genannt – das englische Wort für Den-Kopf-in-den-Sand-Stecken. Das wiederholt sich nun auf eine schreckliche Weise.

Wie wird dieser ganze Streit eigentlich in der britischen Öffentlichkeit aufgenommen und kommentiert?

Die Öffentlichkeit ist geteilt. Es ist zwar eine moderne Gesellschaft mit einer grossen Jugendkultur, die sehr multikulturell ist, viel mehr als jedes andere Land in Europa. Aber es ist doch eine alte Gesellschaft, die eine Tradition an der Spitze des Staates hat: das Königshaus, eine Erbmonarchie.

Und an diesem Königshaus hängen sie – in der Welt, in der wir leben, in der eine Säule nach der anderen einbricht: die Medien, die Kirchen, die Politik. Sie wissen doch: Überall, in der Schweiz oder England – die Menschen haben das Vertrauen verloren in jene, die sie regieren, oder in andere Institutionen. In dieser Zeit des Einbrechens erfreut sich das Königshaus in England hohen Respekts.

Die Monarchie steht heute als die am wenigsten umkämpfte Institution in England da.

Nach dem Tod von Diana glaubte man, die Windsors seien unrettbar verloren. Doch sie haben sich in 25 Jahren ungeheuer erholt: Dank der Langlebigkeit der Königin und ihrer grossen Beliebtheit steht die Monarchie heute als die Institution in England da, die am wenigsten umkämpft ist.

Und es ist deshalb besonders dramatisch und traurig, dass nach diesem Interview auch diese Säule der Beständigkeit einen Angriff erlebt und vielleicht ins Bröckeln gerät. Ich hoffe und glaube aber, dass die tausendjährige Tradition nicht durch ein Interview zum Einsturz zu bringen ist. Aber es ist eine doch spürbare Beschädigung entstanden.

Das Gespräch führte Raphaël Günther.

Echo der Zeit, 18 Uhr, 07.03.21, 18 Uhr ; 

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