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Forschung in der Antarktis «Ein Moment des Respekts und der Bewunderung für die Natur»

Deutsche Polarforscher haben am Meeresboden unter einem kürzlich in der Antarktis abgebrochenen Riesen-Eisberg vielfältiges Leben entdeckt. Jetzt präsentiert die Crew des Forschungsschiffs «Polarstern» erstaunliche Bilder, wie die Tiefseeforscherin Antje Boetius berichtet.

Antje Boetius

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Die Tiefseeforscherin Antje Boetius ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung im deutschen Bremerhaven. Sie war in den Tagen der Erforschung des Meeresbodens in der Antarktis per E-Mail in Kontakt mit den Forscherinnen und Forschern an Bord der «Polarstern».

SRF News: Wie sind die wissenschaftlich wertvollen Aufnahmen der «Polarstern» möglich geworden?

Antje Boetius: Wir verfolgen den Bruch im ostantarktischen Schelfeis schon seit längerer Zeit. Ein Grund dafür ist, dass die britische Forschungsstation in der Nähe des Abbruchs steht. Die Briten haben quasi Glück gehabt, dass sie nicht auf dem abgebrochenen Teil sind, sonst wären sie mit dem Riesen-Eisberg weggedriftet. Die «Polarstern» hatte tatsächlich gehofft, den Zeitpunkt der Loslösung zu treffen, um das Meer darunter zu untersuchen. Und jetzt hat es perfekt gepasst!

Eis.
Legende: Der Riss im Schelfeis wurde in den letzten Wochen immer grösser, bis sich der «Eisberg» von der Grösse des Kantons Aargau schliesslich ganz loslöste. awi

Was haben die Forscher am Meeresboden entdeckt?

Sie fanden auf einem hauptsächlich schlammigen Meeresboden Geröll, das mit den Eismassen vom antarktischen Kontinent abgetragen worden ist und jetzt auf dem Grund liegt.

Die Forscher fanden eine erstaunliche Vielfalt.

Auf diesen Steinen sitzen dichtgedrängt bunte Meereslebewesen: Seeanemonen, Seegurken, Haarsterne, Riesenwürmer. Für eine Meereslandschaft, die seit Jahrzehnten unter dem Eis lag und kein Sonnenlicht gesehen hat, fanden die Forscher eine erstaunliche Vielfalt.

Wurm auf Meeresboden.
Legende: Ein Wurm am Meeresboden – darüber lag während Jahrzehnten Schelfeis. awi

Was hätte man denn erwartet, dort anzutreffen?

Wir dachten durchaus, dass man unter dickem Schelfeis überall Leben antrifft – das haben wir gesehen, als wir mal die Gelegenheit hatten, unter Schelfeis zu schauen. Dabei hatten wir auch festgestellt, dass unter dem Schelfeis, auf dem die deutsche Antarktis-Station steht, Kaltwasser-Korallen wachsen. Das haben wir mittels einer kleinen Kamera herausgefunden.

Manche dieser Organismen werden Hunderte Jahre alt.

Was bei diesen Lebewesen in der Dunkelheit unter dem Eis erstaunt, ist, dass sie mit sehr wenig Energie auskommen. Auch ist offen, was sie überhaupt fressen. Wir haben noch nicht verstanden, wie so etwas geht. Manche dieser Organismen werden Hunderte Jahre alt, wie wir aus Proben herausgefunden haben. Die Tiere leben sehr langsam – deshalb handelt es sich auch um extrem empfindliche Ökosysteme.

«Polarstern» im Eis.
Legende: Als sich der «Eisberg» (rechts) gelöst hatte, konnte die «Polarstern» zwischen die Eismassen fahren und den Meeresboden darunter mit einem Tauchroboter abfilmen. awi

Was nützt es der Wissenschaft zu wissen, dass dort unter dem Schelfeis eine Vielfalt an Tieren lebt?

Wir Menschen können einen Moment der Bewunderung und des Respekts für die Vielfalt der Natur empfinden. Die Wissenschaft ihrerseits hat bis heute noch nicht verstanden, wie das Leben auf der Erde so vielfältig sein kann und weshalb das so ist.

Wie schafft es die Natur, sich immer wieder anzupassen und zu verändern?

Was ist die Funktion der so vielen verschiedenen Arten von Lebewesen in allen Weltgegenden? Und: Wie schafft es die Natur, sich immer wieder anzupassen und zu verändern? Gerade jetzt, da sich die Erde wegen der Einflüsse der Menschen derart stark verändert, müssen wir versuchen, das zu verstehen.

Eisfläche, Meer, Schatten eines Helikopters.
Legende: Erkundungsflug mit dem Helikopter am Rand des abgebrochenen Riesen-Eisbergs. awi

Wären Sie jetzt nicht selber gern auf der «Polarstern» mit dabei gewesen?

Es stört mich tatsächlich, dass ich als Direktorin des Paul-Wegener-Instituts nur noch so selten aufs Schiff komme. Doch das Tolle ist: Wir haben es geschafft, und die dazu benutzte Kamera stammt aus einem meiner Forschungsprojekte.

Unser Ziel ist, die Menschen in Europa mit den Polarregionen zu verbinden.

Ich freue mich auch sehr, dass wir unsere Forschung neuerdings praktisch live weiterverbreiten können – dank den neuen digitalen Medien. Unser Ziel ist, die Menschen in Europa mit den Polarregionen zu verbinden.

Das Gespräch führte Hans Ineichen.

SRF 4 News aktuell vom 18.3.2021, 07.20 Uhr ; 

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