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«Die Gedanken wären dann nicht mehr frei»
Aus Echo der Zeit vom 01.06.2020. Bild: Keystone
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Forschung zum Gedankenlesen «Es besteht eine reale Abhörgefahr»

In den USA ist es kürzlich einem Forscherteam gelungen, mittels Elektroden, die während einer Operation mit dem Gehirn eines Patienten verbunden waren, zu rekonstruieren, was der Patient gedacht hat.

Diese Entwicklung sei «brandgefährlich», sagt der Linguist Balthasar Bickel. Denn in nicht allzu ferner Zukunft würden die Signale aus dem Hirn auch aus der Distanz erfassbar sein. Trotzdem – oder gerade deshalb – startet er jetzt einen Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS), der auch diesen Bereich umfasst.

Balthasar Bickel

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Der Linguist Balthasar Bickel ist Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Zürich.

SRF News: Was wollen Sie mit Ihrer Forschung zum Gedankenlesen erreichen?

Balthasar Bickel: Wir forschen langfristig einerseits an Neuroprothesen. Leute, die etwa nach einem Schlaganfall nicht mehr sprechen können, sollen so dereinst wieder kommunizieren können. Wir wollen aber auch beobachten, wie die internationale Forschung zum Thema Gedankenlesen läuft und möglichen Gefahren vorbeugen, die damit verbunden sind. Denn es ist ein grosses Risiko, wenn man direkt aus der neuralen Aktivität schliessen kann, was eine Person für sich im Stillen sagt.

Sie vergleichen die Gefahr, die durch das Gedankenlesen auf uns zukommt, mit der Entwicklung der Atombombe. Wieso?

Man darf das Gefahrenpotenzial nicht unterschätzen. Wenn es gelingt, aus der Distanz neuronale Aktivität zu messen – und das ist in den nächsten 20 Jahren durchaus realistisch – wird man «abhören» können, was jemand für sich im Stillen zu sagen plant oder sich vorstellt zu sagen – bevor sich die Person äussert. Es besteht also eine reale Abhörgefahr.

Man wird abhören können, was jemand zu sagen plant – bevor sich die Person äussert.

Die Gedanken wären also quasi nicht mehr frei. Auch würde das die Art und Weise, wie wir kommunizieren, fundamental verändern. Bislang kommuniziert unsere Spezies vor allem durch Schallwellen und Handgesten. Mit dem «Gedankenlesen» entstünde ein fundamental neuer Kanal, wie wir Menschen kommunizieren.

Auch Lesen von Gedanken wohl bald möglich

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Bei der aktuellen Forschung geht es um das «mitlesen» von Sätzen, die man sich im Stillen denkt. Vieles von unserem Denken passiert aber nicht in perfekten Sätzen – es sind Gedankenfetzen, Bilder, Assoziationen, die keine klare sprachliche Struktur haben. In diesen Bereich kann man bislang aber noch nicht vordringen. Das entschärft die unmittelbare Gefahr durch das «Gedankenlesen» vielleicht ein bisschen. Doch auch im erwähnten Bereich dürfte es bloss eine Frage der Zeit sein, bis wesentliche Forschungsfortschritte gemacht werden. Und wenn dereinst die sprachlichen Strukturen erfasst werden können, wird es bald auch möglich sein, die vorsprachlichen Strukturen des Denkens zu erfassen. (Balthasar Bickel)

Ist es sinnvoll, wenn die Schweiz bei dieser «brandgefährlichen Entwicklung» mit öffentlichen Geldern mitmischt?

Es ist sogar zwingend. Diese Forschung läuft – ob wir das wollen oder nicht. So investiert etwa die Forschungsabteilung des US-Militärs (Darpa) in diesem Bereich sehr viel Geld. Aus naheliegenden Gründen ist das für sie ein interessantes Forschungsgebiet. Was im privaten Bereich passiert – bei Amazon, Google oder Apple – wissen wir gar nicht erst.

Nur wenn man sich öffentlich an dieser Forschung beteiligt, weiss man, was möglich ist und kann man notfalls regulierend eingreifen.

Deshalb ist es absolut entscheidend, dass man sich öffentlich an dieser Forschung beteiligen kann. Nur so weiss man, was überhaupt möglich ist und kann notfalls regulierend eingreifen. Auch kann man die Forschung so ethisch begleiten. Das kann man nur, wenn man versteht, worum es überhaupt geht. Deshalb ist die Grundlagenforschung extrem wichtig.

Symbolbild: Gehirnscan.
Legende: In nicht allzu ferner Zukunft wird es wohl möglich sein, im Gehirn eines Menschen mitzulesen. imago images

Wie könnte das Gedankenlesen dereinst reguliert werden?

Es geht etwa um die Verfügbarkeit der Technologie. Diese darf nicht einfach auf dem freien Markt zu kaufen sein. Auch muss man sich überlegen, ob man Sicherheitsmechanismen einbauen kann – zum Beispiel ein Passwort im Hirn. Es werden sich schwierige Fragen stellen, zu denen es heute noch keine Antworten gibt. Deshalb ist es zwingend, die Forschung und Entwicklung an vorderster Front mitzuverfolgen.

Was meinen Sie mit einem «Passwort im Hirn»?

Man müsste dieses spezifische Passwort denken, bevor die Gedanken gelesen werden könnten. Doch das ist fern jeder Implementierung – die genauen Prozesse dazu verstehen wir derzeit noch viel zu wenig.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

NFS zur Sprache und deren Bedeutung

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Der Nationale Forschungsschwerpunkt (NFS) «Evolving Languages» ist Anfang Juni offiziell gestartet. Mit einem Budget von fast 35 Millionen Franken über vier Jahre wird die Evolution von Sprache so breit wie bisher noch nie untersucht. An der Forschung sind Gruppen aus den Geisteswissenschaften (Sprachwissenschaft, Philosophie), der Biologie, den Neurowissenschaften, der Psychologie und den Computerwissenschaften beteiligt.

Drei Bereiche werden erforscht: Die Dynamik sprachlicher Strukturen und deren Evolution, die biologischen Voraussetzungen für Sprache und damit verbunden die Frage, ob und wie mit Neurotechnologien auf Sprachfunktionen Einfluss genommen werden kann sowie die soziale Bedeutung von Sprache. Unter dem Lead der Universitäten Zürich und Genf sind mehr als 30 Forschergruppen aus der ganzen Schweiz an dem Projekt beteiligt.

Echo der Zeit, 01.06.2020, 18:00 Uhr;

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