Viele kennen es aus der eigenen Familie. Der Sohn oder die Tochter überragen die Eltern. Und schon der Vater war zehn Zentimeter grösser als der Grossvater.
In den letzten 60 Jahren sei der Mensch im Schnitt zwölf bis 18 Zentimeter gewachsen, sagt der Wirtschaftshistoriker Ulrich Woitek von der Universität Zürich. Daten von «NCD-RisC», einem Netzwerk von Gesundheitswissenschaftern, zeigen, dass Durchschnitts-Schweizerinnen und -Schweizer heute grösser sind als noch vor hundert Jahren.
«Gleichzeitig zum körperlichen Wachstum sehen wir eine Erhöhung des Lebensstandards in der Schweiz», sagt Woitek. So sei das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Verlauf des letzten Jahrhunderts um das 4.5-Fache gestiegen. «Das hat Auswirkungen auf die Quantität und Qualität der Ernährung und auf die medizinische Versorgung.»
Tatsächlich haben diese Umweltfaktoren zu einem grossen Teil das gesteigerte Wachstum der Menschen beeinflusst. Die verbesserte Ernährung und medizinische Versorgung machten solche Körpergrössen überhaupt möglich. Für die einzelne Person spielen jedoch die Gene die wichtigste Rolle.
Hersteller bauen grössere Autos
Das Wachstum der Menschheit zwingt unsere Lebenswelt zur Anpassung. Wo die Menschen weitgehend selbst über die Gestaltung ihrer Umwelt entscheiden können, wählen sie Produkte, die ihrer Körpergrösse entsprechen. So sind etwa Autos des gleichen Modells über die Generationen gewachsen. Autohersteller passen sich also an.
Airlines gehen gleich den umgekehrten Weg. Seit dem Aufschwung der kommerziellen Luftfahrt wird der Platz zwischen den Sitzreihen immer kleiner. Das frisst dem grösseren Durchschnittsmenschen von heute noch weitere Beinfreiheit weg.
Rendite bestimmt Angebot
Auch in unseren eigenen vier Wänden haben wir langsam weniger Platz, als sinnvoll wäre. «Die Bauindustrie passt sich nur sehr langsam den neuen Bedürfnissen an», sagt Architektur-Historiker Christoph Schläppi. So blieben etwa die Geschosshöhen über Jahrzehnte unverändert. «Gesteuert wird das von Baugesetzen und Normen, die verhältnismässig träge reagieren.»
Massgeblich sei auch die Wirtschaftlichkeit der Gebäude sowie das Rendite-Denken der Immobilienbesitzer, sagt Schläppi. Um möglichst hohe Mieterträge zu erzielen, wollen Investoren bei ihren Wohnungen eine grösstmögliche Ausnutzung erreichen. «Man wird nicht dafür belohnt, wenn man die Geschosshöhen grosszügig macht», sagt Schläppi. Denn je höher die Geschosse, desto weniger Wohnungen lassen sich aufeinander stapeln.
Die Grössenansprüche dürften sich in Zukunft nicht mehr so stark ändern wie im letzten Jahrhundert, denn in den letzten Jahren ist das Grössenwachstum in Nord- und Mitteleuropa abgeflacht. Zum einen wird vermutet, dass das genetische Maximum erreicht ist, zum anderen stellt das zunehmende Übergewicht der Menschen einen negativen Faktor dar.