Die ehemalige Schweizer Kunstturnerin Ariella Kaeslin hat sich vor Kurzem geoutet. Sie hat seit April 2021 eine Freundin. Doch sie bezeichnet sich deswegen noch lange nicht als lesbisch. Ihre sexuelle Orientierung möchte sie nicht benennen.
«Ich möchte frei und offen bleiben gegenüber allem und jedem. Für mich selbst brauche ich das nicht, deshalb finde ich es völlig in Ordnung, wenn ich das nicht definiere», erzählt Ariella Kaeslin «G&G»-Redaktorin Léa Spirig. Für die Gesellschaft wünsche sie sich mehr Toleranz gegenüber Menschen, die sich ausserhalb der gesellschaftlichen Normen bewegen.
Die 34-Jährige gehört zu den prominentesten Sportlerinnen der Schweiz. Zwischen 2008 und 2010 wurde sie dreimal zur «Sportlerin des Jahres» gewählt. 2009 krönte sie sich zur Europameisterin im Kunstturnen. Seit ihrem Rücktritt aus dem Profisport ist Ariella Kaeslin bekannt als eine Frau, die öffentlich kein Blatt vor den Mund nimmt. Sie spricht offen über ihr Burnout und Tabus und prangert öffentlich Missstände an, wie jenes des Missbrauchs im Turnverband.
Ariella Kaeslin will anderen helfen
Nun will sie auch mit ihrer sexuellen Orientierung die Öffentlichkeit ansprechen. Dafür hat sie verschiedene Gründe: «Einerseits möchte ich anderen Menschen das Leben einfacher machen und ich glaube, das passiert, wenn man möglichst viele Leute hat, die über solche Themen sprechen. Dann möchte ich die Plattform, die ich als ehemalige Spitzensportlerin habe, im positiven Sinn nutzen.» Zudem fände sie es auch viel einfacher und angenehmer, wenn sie nichts verstecken müsste.
Gerade im Kunstturnen entspricht das Frauen-Bild eher heteronormativen Bestimmungen – «möglichst fein definiert, muskulös, weiblich und doch nicht zu weiblich», ergänzt Kaeslin. Für Frauen, die Frauen lieben, hat es ihrer Meinung nach dort keinen Platz. Diese Vorstellung hat sich auch in ihrem Kopf festgesetzt. Ein Comingout zur damaligen Zeit hätte sie sich nicht vorstellen können: «Weil ich so extrem diesem optimalen Bild hinterherrannte, hätte ich während meiner aktiven Karriere, das sicher nie zulassen können.»
Es gibt Tage, an denen bin ich stolz und posaune es heraus.
Trotz der Offenheit mit ihrer sexuellen Orientierung, hat Ariella Kaeslin manchmal auch Zweifel an ihrer Einstellung: «Mach ich jetzt das Richtige?» Ein Comingout kann auch anstrengend sein – denn man muss es immer wieder tun: «Es gibt Tage, an denen ich stolz bin, posaune es heraus und habe sogar das Gefühl, die ganze Welt ist gay und akzeptiert das.» Dann gäbe es aber auch Tage, an denen sie müde sei, nicht möchte, aber dann trotzdem manchmal müsse.
Comingout unterschiedlich gut aufgenommen
Über ihre sexuelle Orientierung wurde sie sich erst letztes Jahr klar. Zuerst versuchte sie es zu verdrängen, bis sie merkte, dass sie dem nachgehen müsse. Heute ist sie froh darüber. Sie vertraute sich ihrem Umfeld an: «Das war zuerst nicht so einfach für mich, weil ich mir ja selbst noch nicht sicher war, ob das wirklich für mich stimmt.» Sie wandte sich zunächst an ihre Freundinnen und Freunde. Bei ihnen kam das Comingout gut an. Danach informierte sie ihrer Familie: «Meine Mutter hatte am Anfang ein bisschen Mühe, weil sie keine Sekunde damit gerechnet hat, und mein Papi hat es sehr gut aufgenommen.»
Heute haben Familie, Freundinnen und Freunde Ariella Kaeslins Partnerin gut aufgenommen und denken positiv über die Einstellung zu ihrer sexuellen Orientierung.