Lucia Trevisan ist 73 Jahre alt und fit. Aber etwas ist anders seit einigen Jahren: Um den Deckel einer Pet-Flasche aufzuschrauben, fehlt ihr die Kraft. «Ich mache sie nicht mehr von Hand auf. Ich nehme den Nussknacker, um sie zu halten, dann geht das sehr leicht.» Die Pet-Flasche – eine Knacknuss. Die anderen Versuchs-Senioren in den Labor-Räumen der Fachochschule Wädenswil nicken.
Auch sie haben ihre Hilfsmittel. «Ich habe so ein Plastikteil, das ich wie einen Lumpen um den Verschluss wickle, dann geht es», sagt eine andere ältere Dame. «Früher gab es was für verschieden grosse Deckel, das sieht aus wie eine Zange.» Das könne sie nehmen, und die Deckel damit öffnen, erzählt eine Dritte im Bunde.
Mit 80 Jahren die Kraft eines Teenagers
Aber eigentlich müsste es doch ohne Hilfsmittel gehen, finden die Rentnerinnen; das sei auch im Interesse der Lebensmittelindustrie, wird diese Zielgruppe doch immer grösser. Bei Pet-Flaschen macht vor allem der Plastikring unter dem Deckel, dieser Schutz für die erste Öffnung, das Öffnen für die Rentner zum übergrossen Kraftakt. Denn die Kraft in den Händen schwindet im Alter, erklärt Christine Brombrach.
«Man kann sagen, dass ein Mensch zwischen 80 und 85 Jahren ungefähr die Handgreifkraft eines 10-jährigen Kindes hat», so der Vergleich der Professorin. Sie leitet die Forschungsarbeiten in Wädenswil. Diese sind Teil eines grossen EU-Projekts über Ernährung im Alter, das noch bis 2017 dauert.
Die bisherigen Tests zeigen eindeutig, was die Pet-Flasche seniorenfreundlicher macht: «Man könnte mit einem grösseren Drehverschluss arbeiten. Man hat dann eine grössere Schraubkraft. Man kann den Schraubdeckel einriffeln, damit ich besser greifen kann. Da gibt es schon verschiedene Modelle auf dem Markt.»
Vorschläge für die Verpackungsindustrie
Die vier Rentner im Schulungszimmer des Labors helfen den Wissenschaftlern bei ihren Verpackungstests. Insgesamt machen 80 über 65-Jährige bei den Tests mit. Nur dank ihrer Hilfe zeigten sich die konkreten Probleme, «so dass wir wiederum der Industrie zurückspiegeln können, wo es am Ende klemmt», sagt Brombach.
Womit wir beim zweiten Beispiel wären: Bei diesen Plastikschalen mit den Mortadella- oder Salami-Scheiben. Mit ihnen hat sogar der kräftige Ehemann von Lucia Trevisan, der 83-jährige Pietro Trevisan, seine liebe Mühe: «Ich sehe im ersten Moment nicht, wo ich die Verpackung öffnen kann. Ich drehe sie um und suche. Ich würde die Öffnung finden, wenn es ein Zünglein mit einem Pfeil darauf hätte.» Daran könnte er dann ziehen, bis die Packung aufginge – «dann hätte ich Freude», sagt er.
Grössere Laschen, bessere Beschriftung
Mit dem Alter nimmt nämlich auch die Sehkraft und das Fingerspitzengefühl ab – das merkt die 71-jährige Shinge Nangai bei diesen Fleischverpackungen: «Wenn sie etwas schmaler ist, habe ich Probleme damit, sie festzuhalten und aufzureissen.» Auch hier gebe es eigentlich einfache Lösungen, sagt Selcuk Yildrim.
Er ist im Wädenswiler Labor der Verpackungsspezialist. «Man kann die Laschen grösser machen, sie besser beschriften – es gibt schon Möglichkeiten, ohne die Lebensmittel zu gefährden.» Möglichkeiten, die vor allem grössere Hersteller immer mehr nutzen. Auch die beiden grössten Schweizer Detailhändler haben reagiert: Der eine Grossverteiler führt leichter zu öffnende Verpackungen mit einem grünen Signet, der andere hat Konfigläser im Gestell, deren Deckel einfacher aufgehen.
Das sei immerhin ein Anfang, sagt Yildrim: «Aber ich denke, es gibt noch viel mehr Potenzial.» Bis zum Ende des Projekts 2017 wollen die Forscher zusammen mit Partnern aus der Industrie seniorenfreundlich verpackte Mahlzeiten entwickelt haben, die sich dann hoffentlich auch am Markt durchsetzen.