SRF News: Die Vereinbarung zum Schutz des antarktischen Rossmeers sei «bahnbrechend» und «historisch», sagen Beobachter. Sind diese Superlative berechtigt?
Rainer Froese: Ich glaube schon, immerhin sind die Erdpole von der Klimaerwärmung am stärksten betroffen. Die Wassertemperatur verdoppelt sich dort von 2 auf 4 Grad Celsius. Das macht es für die dortigen Lebewesen sehr schwierig.
Das Problem der Erwärmung bleibt aber bestehen, auch wenn dort künftig weniger gefischt werden soll...
Das ist richtig. Allerdings wird künftig sehr viel weniger gefischt werden im Rossmeer, weil drei Viertel des riesigen Gebiets unter ein vollständiges Fischereiverbot gestellt werden. In einem weiteren Viertel wird die Fischerei zudem erheblich eingeschränkt. Gefischt wird dort vor allem auf den antarktischen Riesendorsch, auch antarktischer Seehecht genannt. Der Fisch wird bis zu zwei Meter lang. In den verschiedenen Lebensstadien bildet er die Nahrungsquelle für verschiedene andere Tiere in dem Gebiet. Die kleinen Fische ernähren die Weddellrobben, die mittelgrossen die Orcas und die grossen werden wahrscheinlich von den Pottwalen gefressen – das wird gerade erforscht.
Im Augenblick bringen unsere Schutzgebiete nicht sehr viel – und das muss sich dringend ändern.
Welche Auswirkungen hat es auf die Weltmeere, wenn die Erdpole besser geschützt werden?
Die direkten Auswirkungen halten sich in Grenzen, weil es sich hier um ein ganz anderes Ökosystem handelt als es die subtropischen, tropischen oder borealen Ökosysteme sind – und auch von diesen abgegrenzt ist. Der Punkt ist, dass wir den Einfluss des Menschen begrenzen wollen. Ausserdem besteht nun die Hoffnung, dass man ähnliche Vereinbarungen auch für andere Schutzgebiete erzielen kann. Nur rund drei Prozent der weltweiten Meeresgebiete sind laut Schätzungen Schutzgebiete, doch in weniger als einem Prozent der Meeresgebiete wird tatsächlich die Fischerei eingeschränkt.
Bahnbrechend ist also die Haltung: Eine Einigung darauf, dass der Schutz dieses Gebietes im Rossmeer wichtig ist?
Richtig. Obwohl ja nicht die ganzen antarktischen Gewässer unter Schutz gestellt werden, sondern bloss eine grosse Bucht des Kontinents. Doch schon das halte ich für sehr gut.
Das Gebiet liegt weit entfernt von den bewohnten Kontinenten und ist deshalb für die Fischerei weniger begehrt als andere Gebiete. War es deshalb einfacher, die beteiligten Länder dazu zu bringen, das Gebiet unter Schutz zu stellen?
Es war tatsächlich einfacher, als es an anderen Orten sein wird. Im Rossmeer wird etwa seit den 1990er-Jahren gefischt und es fischten jeweils nur ein paar Dutzend Schiffe. Leider ist die dortige Fischerei vom MSC-Label für nachhaltigen Wildfang als besonders gut zertifiziert worden, obschon es schon 2010 grosse Bedenken gab, dass der Einfluss der Fischerei auf das Ökosystem nicht unerheblich ist. Tatsächlich beobachtete man mit der Zunahme der Fischerei eine Abnahme der Orcas in dem Gebiet.
Was bringt ein Abkommen, das nur 35 Jahre gültig sein soll?
Ich verstehe die Politik dahinter auch nicht wirklich. Ich hätte mir gewünscht, dass der Schutzstatus endgültig ist. Ich nehme an, dass es andere Stimmen gab. Im Jahr 2050 – so vermutet man heute – soll die Menschheit ihren Peak erreichen, erst danach soll die Anzahl Menschen auf der Erde wieder abnehmen. Vielleicht hat jemand deshalb darauf bestanden, dass dann die Möglichkeit besteht, das Gebiet für die Fischerei wieder freizugeben, um die Menschheit zu ernähren. Das wäre natürlich nicht schön, denn die Menschheit kann man anders ernähren. Mit nachhaltiger Fischerei und weniger Wegwerfen könnte man das Problem sicher besser lösen, als mit Fischerei im Rossmeer.
Das Gebiet steht nun also unter Schutz. Was müsste man in Sachen Meeresschutz als nächstes in Angriff nehmen?
Inzwischen gibt es auf der Erde einige grössere Schutzgebiete, auch die USA haben grosse Gebiete in den Tropen geschützt. Aber der Hauptpunkt ist, dass wir in den Schutzgebieten endlich Massnahmen ergreifen müssen, um die schädlichen Einflüsse zurückzudrängen – auch in den Schutzgebieten Europas. Dort soll nicht weiter nach Muscheln gebaggert oder mit Grundschleppnetzen gefischt werden dürfen. Im Augenblick bringen unsere Schutzgebiete nicht sehr viel – und das muss sich dringend ändern.
Das Gespräch führte Simon Leu.
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Bild 1 von 6. Die Antarktis ist abgesehen von ein paar Dutzend Forschungsstationen ein unbewohnter Kontinent rund um den Südpol. Der internationale Antarktis-Vertrag von 1959 legt fest, dass der Kontinent von Wissenschaftlern verschiedener Nationen ausschliesslich zu friedlichen Zwecken genutzt werden kann. Bildquelle: NASA/Reuters.
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Bild 2 von 6. Im Winter – also von März bis September – geht die Sonne in der Antarktis nie auf, in den Sommermonaten nie unter. Astronomen beobachten in ihrer Forschungsstation die Milchstrasse (Bild: 22. Januar 2015). Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 6. Bis zu 4000 Meter dick ist die Eisschicht auf dem Südpol und die Temperaturen sinken bis auf -90 Grad Celsius. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 6. Das Rossmeer gilt als Schatzkammer des Meeres, mit zahlreichen einzigartigen Lebewesen sowie Krill und kleinen Fischarten, die Meeressäugern als Lebensgrundlage dienen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. In den meisten Teilen des neuen Meeresschutzgebietes soll die Fischerei verboten werden. 2003 fingen Fischer dort einen Riesentintenfisch, der 350 kg schwer war, mit Augen so gross wie Teller und einen Meter langen Armen. Gefangen wurde das Tier in eineinhalb Kilometern Tiefe. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 6. Wissenschaftler glauben, dass durch die Erwärmung der Meere viele Arten zum Überleben in die kälteren Gefilde rund um die Antarktis wandern. Deshalb sei das Meeresschutzgebiet auch so wichtig für die Tiere der Antarktis, zum Beispiel den Eselspinguin. Bildquelle: Keystone.