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Symbolbild: Riesige, liegende Rakete, daneben ein russischer Funktionär mit grossem Hut.
Legende: Eine Sojus-Rakete wird zum Startgelände gebracht. Keystone Archiv

Panorama Russische Raumfahrt in der Krise?

Eigentlich hätte heute eine neue Crew zur Internationalen Raumstation ISS fliegen sollen. Doch wegen der anhaltenden Pannenserie bei den Russen ist der Raumflug auf Juli verschoben worden. Was ist los mit der russischen Raumfahrt?

Gleich zwei schwere Pannen muss die russische Raumfahrtagentur Roskosmos verkraften: Anfang Mai verglühte ein ausser Kontrolle geratener Versorgungs-Raumfrachter für die Internationale Raumstation ISS in der Erdatmosphäre.

Eine Woche später stürzte eine Proton-M-Rakete mit einem Satelliten an Bord ab. Ausserdem gab es in den letzten Wochen Probleme mit einem an der ISS angedockten russischen Raumfrachter, mit dessen Hilfe die Raumstation in eine höhere Umlaufbahn gehoben werden sollte; dieses Manöver ist inzwischen immerhin geglückt.

ISS: «Aus Fehlern lernen»

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Die ISS hat Betriebskosten von drei Milliarden Dollar und trotzdem läuft nicht alles rund. Doch auch angesichts der Probleme mit den russischen Raumfrachtern mag Oliver Botta nicht von einer Pannenserie sprechen . Er ist wissenschaftlicher Berater der Abteilung Raumfahrt des Bundes.

Astronauten kehren später zur Erde zurück

Das Versorgungsraumschiff vom Typ Progress M-27M hatte 2,4 Tonnen Versorgungsgüter für die sechsköpfige ISS-Besatzung an Bord, als es am 8. Mai in den Westpazifik stürzte. Grund für den Fehlschlag dürfte eine defekte Sojus-Trägerrakete gewesen sein, deren dritte Stufe bei der Zündung explodierte. Mit den Sojus-Raketen werden auch bemannte Raumschiffe zur ISS gebracht.

Wegen der Panne wurde der eigentlich für heute geplante Start einer neuen Crew für die ISS auf Juli verschoben. Ausserdem bleiben drei Astronauten, die Mitte Mai auf die Erde hätten zurückkehren sollen, noch eine Weile in der Raumstation. Für die Raumfahrer an Bord der ISS hat der Ausfall des Nachschubs keine Auswirkungen: Sie haben laut Roskosmos noch genügend Lebensmittel und technisches Gerät an Bord.

Russen räumen Probleme ein

Die Reaktion aus dem Kreml auf die Pannen blieb nicht aus: «Die Havarien sind Folgen einer Systemkrise in der Raumfahrt, aus der Roskosmos noch nicht herausgefunden hat», sagte der für die Raumfahrt zuständige Vize-Regierungschef Dmitri Rogosin nach dem Absturz der Proton-M. Er kündigte einschneidende Reformen an. Geplant sei ein neuer grosser Staatskonzern mit technischen Neuausstattungen und besserer Bezahlung für Spezialisten.

ISS ohne Russen?

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Ob Russland tatsächlich – wie kürzlich angekündigt – früher als vorgesehen aus dem ISS-Projekt aussteige, sei noch unklar, sagt Gysling. Denn: «Ob sich das fruchtbar auswirken würde, darf man bezweifeln.» Er hält die Ankündigung vor allem für eine Reaktion des Kreml auf die westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise.

«Vielleicht haben die jüngsten Pannen mit Schlamperei zu tun – vielleicht ist es auch einfach eine Pechsträhne», sagt SRF-Moskaukorrespondent Peter Gysling. Denn schliesslich sei unumstritten, dass die ehemals sowjetische und nun russische Raumfahrt auf grosse Erfolge zurückblicke.

Korruption bei Roskosmos

Allerdings könnten die Pannen nach Ansicht Gyslings tatsächlich etwas mit dem System der russischen Raumfahrt zu tun haben: Roskosmos sei ein grosser und unübersichtlicher Staatskonzern, bei dem vieles über persönliche Beziehungen und politische Loyalitäten laufe, statt über berufliche Qualifikationen.

Entsprechend sei Roskosmos auch von massiver Korruption betroffen. «Das zeigte sich vor einigen Monaten beim Bau des Weltraumbahnhofs Wostotschny: Dort floss sehr viel Geld, doch am Schluss konnten nicht einmal mehr die Arbeiter bezahlt werden.»

Keine Konkurrenz

Die Probleme in der russischen Raumfahrt sieht Gysling auch in der fehlenden Konkurrenz für Roskosmos: «In den USA konkurrieren verschiedene – auch private – Betriebe um die besten Qualitätsprodukte.» Zwar sei man bei den Trägerraketen in Russland günstiger als anderswo und bei den Konstruktionen sei man «recht kreativ». Doch vieles laufe nicht wie gewünscht.

So habe man immer mehr Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu rekrutieren: Viele gut ausgebildete Russen kehrten Russland den Rücken und suchten ihr Glück im Ausland. «Hier hat die russische Volkswirtschaft unter Präsident Wladimir Putin generell ein ausgeprägtes Problem», so Gysling.

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