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Yanis Varoufakis.
Legende: Der ehemalige Wirtschaftsprofessor und heutige Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis. Reuters

Panorama Stinkefinger-Varoufakis: Sensationslüsternheit statt Sachlichkeit

Ein altes Video des heutigen griechischen Finanzministers, eine obszöne Geste und ein Medienrummel, der seinesgleichen sucht. Warum die Affäre zeigt, wie Öffentlichkeit funktioniert und wie Nebenschauplätze hochgepeitscht werden.

Die griechische Krise, die durchaus als europäische Krise bezeichnet werden kann, ist ein hochkomplexes und vertracktes Thema. Es geht um Liquidität, Reformen, Versprechungen, Verhandlungen. Es geht auch um Kompromisse und sture Haltungen – und vermutlich nicht zuletzt auch um kulturelle Ressentiments.

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Man möchte nicht Finanzminister Griechenlands in einer solchen Zeit sein. Yanis Varoufakis hat keine leichte Aufgabe: Für die einen ist er Hoffnungsträger, für einen grossen Teil der Eurozone-Vertreter ist er ein Sturkopf, der sich partout nicht an die bisher gängigen Regeln halten will.

Griechenland braucht bis morgen 350 Millionen Euro, die es bis morgen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen muss: Geld, welches das Land nicht hat. Doch medial interessierte in den letzten Tagen ein viel einfacheres Thema: Ein Stinkefinger.

«Euro-Schreck» und Video-Schnipsel

Am vergangenen Sonntag war Varoufakis in der Sendung von Günther Jauch eingeladen, zum Thema «Der Euro-Schreck stellt sich».

In einem Videoschnipsel ist zu sehen, wie er den Stinkefinger zeigt und sagt: «Griechenland sollte einfach verkünden, dass es nicht mehr zahlungsfähig ist und Deutschland den Finger zeigen und sagen: Nun, ihr könnt dieses Problem nun selber lösen.»

Der Videoschnipsel stammt aus einer einstündigen Debatte des Subversive Festivals in Zagreb von 2013. Die Aufnahme zeigt klar die plumpe Geste. Doch der damalige Wirtschaftsprofessor Varoufakis sprach über die Probleme von Griechenland im Krisenjahr 2010, adressierte die Fehler der damaligen Regierung und erklärte, was 2010 das richtige Vorgehen gewesen wäre.

Unangebrachte Geste in einer medialen Irreführung

Auch der Organisator des Festivals, Srecko Horvat, stellt sich hinter den Griechen. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte er: «Sein Argument lautete, Griechenland hätte damals gegenüber den privaten Gläubigern in Konkurs gehen sollen, statt sich von den europäischen Partnern einen riesigen Kredit geben zu lassen.» Es sei nicht um die heutigen Schulden gegenüber Deutschland gegangen. Wenngleich Varoufakis‘ Geste als nicht angebracht hinterfragt werden kann, ist dies ein womöglich nicht unerheblicher Kontext.

Nach der Jauch-Sendung gingen die Wogen hoch: Was hängengeblieben war, war der Stinkefinger. Es half auch nicht, dass der heutige griechische Finanzminister in der Sendung sagte, das Video sei manipuliert – er habe den Finger nie gezeigt. Am folgenden Tag stellte er selbst das ganze Video der Konferenz in voller Länge auf Twitter, auf dem tatsächlich der Finger zu sehen ist.

Jan Böhmermann
Legende: Der deutsche Komiker Jan Böhmermann behauptete, er habe einen Stinkefinger montiert. Doch das war alles nur Satire. Keystone

Der Stinkefinger ist nicht die News

Gestern Abend nun behauptete der deutsche Komiker Jan Böhmermann in seiner Satiresendung Neo Magazin Royale auf ZDF, er und sein Team hätten den Stinkefinger montiert, da sei vorher keiner gewesen.

Prompt explodierte das Internet, oder zumindest Twitter. Unter dem Hashtag #varoufake diskutierte die Twittergemeinde über das Fake von Böhmermann – und darüber, ob das Bekennervideo gar bezweifelt werden muss.

Böhmermann selber, junges Enfant Terrible der deutschen Showmaster, stellte heute am späten Vormittag ein Statement auf Twitter, in dem er mit unbewegter Miene und Sarkasmus in der Stimme verkündet: «Niemals würden wir die notwendige journalistische Debatte über einen zwei Jahre alten, aus dem Zusammenhang gerissenen Stinkefinger, und all diejenige, die diese Debatte ernsthaft öffentlich führen, derart skrupellos der Lächerlichkeit preisgeben.» Böhmermann geht es nicht um den Stinkefinger. Sondern darum, aufzuzeigen, wie Öffentlichkeit und die Erregung derselben funktionieren.

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