SRF News: Ein Kaiserschnitt ist heute ein Routineeingriff. Ein Spaziergang ist er deswegen nicht. Worauf müssen sich Frauen nach einem Kaiserschnitt gefasst machen?
Andrea Weber: Die Frauen haben nach dem Kaiserschnitt grössere Schmerzen und Einschränkungen als Frauen nach einer natürlichen Geburt. Sie brauchen zu Beginn einen Dauerkatheter. Sie sind auf Hilfe angewiesen – beim Aufstehen, aber auch bei der Versorgung des Babys und beim Stillen, denn sie können das Kind wegen der Schmerzen nicht in jeder Position anlegen. Man vergisst oft den Blutverlust, der zusätzlich schwächt und dass es zu Problemen mit der Narbe oder bei der Rückbildung der Gebärmutter kommen kann.
Zwischen vier und sieben Tagen bleiben Frauen nach einem Kaiserschnitt für gewöhnlich im Spital. Ist danach das Gröbste überstanden?
Viele unterschätzen, dass es über viele Wochen körperliche Einschränkungen gibt: Tragen, schnelles Drehen, Bücken und auch das Kümmern um die anderen Kinder ist über einen Zeitraum von Wochen nur beschränkt möglich. Manche leiden auch unter Verstopfung, weil sie sich schlecht bewegen können.
Erleben Sie, dass Frauen die Auswirkungen eines Kaiserschnitts unterschätzten, insbesondere auch die psychischen?
Das erlebe ich oft. Wenn das Erleben des Geburtsverlaufs, sei es bei einer natürlichen Geburt oder einem Kaiserschnitt, sich mit den Vorstellungen der Frau nicht deckt, dann hadern viele Frauen damit im Nachhinein. Vielfach sind die Frauen von den Ereignissen, die zu einem ungeplanten Kaiserschnitt geführt haben, überrollt worden. Das belastet dann die Wochenbettzeit zusätzlich, manchmal auch weit über diese Zeit hinaus.
Bei geplanten Eingriffen sehe ich das weniger. Beispielsweise sind Frauen mit ihrem Kaiserschnitt sehr zufrieden, wenn sie sich nach einem traumatischen ersten Geburtserlebnis bewusst für einen geplanten Kaiserschnitt beim zweiten Kind entscheiden. Mir ist wichtig: Ein Kaiserschnitt ist keine Geburt zweiter Klasse. Alle Akteure der Geburtshilfe sind froh, dass es diese Möglichkeit gibt! Aber die Entscheidung, ob es diesen Eingriff braucht, soll immer in jeder Situation neu und individuell gefällt werden. Ein Kaiserschnitt soll niemals ein Routineeingriff werden.
Ein Kaiserschnitt tangiert alle weiteren Geburten, das darf man nie vergessen.
Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt. Gilt diese Regel noch?
Fixe Regeln gibt es nicht mehr. Man muss individuell schauen, wie der Verlauf der neuen Schwangerschaft ist, was die Frau will und was der Grund für den vorangegangenen Kaiserschnitt war. Denn Kaiserschnitt ist nicht gleich Kaiserschnitt. Kommt es beispielsweise während der Geburt zu einem Stillstand, weil der Kopf des Kindes nicht tiefer ins Becken tritt, ist das kein zwingender Grund für einen Kaiserschnitt beim nächsten Kind. Nach dem zweiten Kaiserschnitt ist aber dann in der Regel jedes weitere Kind auch eine Kaiserschnitt-Geburt, weil die Angst vor einem Gebärmutterriss zu gross ist. Und nach einem Kaiserschnitt läuft jede natürliche Geburt unter Risikogeburt. Ein Kaiserschnitt tangiert also alle weiteren Geburten, das darf man nie vergessen. Deshalb sollte man wenn immer möglich den ersten Kaiserschnitt zu verhindern versuchen.
Frauen setzen zunehmend wieder auf mehr Natürlichkeit, die meisten versuchen beispielsweise zu stillen. Dem widerspricht der Trend, dass mehr Frauen einen Kaiserschnitt wollen.
Das ist auch meine Erfahrung. Zu Beginn der Schwangerschaft wünschen sich die meisten Frauen eine natürliche Geburt. Aber für viele Frauen ist der Weg durch die Schwangerschaft heute ein Spiessrutenlauf. Guter Hoffnung zu sein muss man sich regelrecht erkämpfen. Es gibt sehr viele Schwangerschaftskontrollen, meist mehr, als die Grundversicherung eigentlich vorsieht.
Bis zu 70 Prozent der Schwangeren werden heute von ärztlicher Seite als Risikoschwangere klassifiziert, obwohl sie es gar nicht sind. Da schwebt ein Damoklesschwert über den Schwangeren, denn sie fühlen sich dann kränker als sie eigentlich sind. Oft überträgt sich die Angst der fachlichen Begleitpersonen, etwas zu übersehen auf die Paare. Auf der anderen Seite steht der Anspruch der Paare an die Machbarkeit, sie wollen mit allen Mitteln ein gesundes Kind.
Bevor die Frau nicht Wehen hat, kann man nicht absehen, ob sie vaginal entbinden kann oder nicht.
Liegt eine der Ursachen für die hohe Kaiserschnitt-Quote vielleicht darin, dass die Babys durch die gute Versorgungslage und Ernährung in Westeuropa immer grösser werden?
Schwerere Babys sind möglich, aber kein grundsätzliches Problem. Man muss immer die Gesamtsituation anschauen, also das Schätzgewicht des Kindes in Relation zur Grösse des Beckens jeder einzelnen Frau. Generelle Aussagen wie «Ihr Kind wird bei der Geburt zu gross für Sie sein» sind also nicht möglich. Bevor die Frau nicht am Termin ist und Wehen hat, kann man nicht absehen, ob sie vaginal entbinden kann oder nicht. Ich habe schon ganz kleine Frauen erlebt, die ohne Probleme Vier-Kilo-Babys geboren haben.
Die Verunsicherung unter den werdenden Eltern scheint gross zu sein.
Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl für die individuelle Beratung, damit die Frau nicht vorgeburtlich schon mit Aussagen wie «Das Baby ist zu gross» belastet wird. Das heisst nicht, dass man Dinge während der Vorsorge verheimlichen soll, aber es gilt immer zu bedenken, wie man etwas äussert und wie diese Botschaft eventuell bei meinem Gegenüber ankommen könnte.
Am wichtigsten ist, wann immer möglich optimistisch zu bleiben und nicht den Frauen mit irgendwelchen errechneten Tendenzen schon vorher jeglichen Mut zu nehmen, ihren individuellen Weg durch Schwangerschaft und Geburt zu gehen. Es braucht in der Arbeit der Schwangerenvorsorge ein grosses Fachwissen, Geduld, Empathie und das Können, im richtigen Moment die richtigen Worte zu wählen, damit die Frau sich abgeholt und verstanden fühlt. Aber das benötigt viel Zeit. Diese Zeit brauen wir, denn wir Hebammen möchten die Frauen dabei unterstützen, wieder mehr auf ihren Körper zu vertrauen.
Das Gespräch führte Helwi Braunmiller