Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten sind die Kaiserschnittraten weltweit sprunghaft angestiegen. In China beispielsweise von sechs auf über 50 Prozent, in Brasilien, dem Land mit der höchsten Kaiserschnittrate der Welt, bekommen in manchen Kliniken bereits 90 Prozent der Frauen ihr Kind auf dem Operationstisch.
Doch auch in Europa sind die Zahlen alarmierend. In der Schweiz und Deutschland haben sich Schnittentbindungen innerhalb von wenigen Jahrzehnten mehr als verdoppelt, sie liegen momentan bei 32 Prozent. Insbesondere Privat- und Belegkliniken tragen zu den extremen Steigerungen bei. So auch eine grosse Schweizer Privatklinikkette, in deren Häusern manchmal mehr Kinder per Kaiserschnitt auf die Welt kommen, als auf natürlichem Weg.
Niemand will darüber reden
Wir wollten wissen, warum das so ist, von Ärztinnen und Ärzten erfahren, wie es zum Beispiel beim Standort Zürich zu einer Kaiserschnittrate von 58 Prozent kommt. Doch unsere Dreharbeiten waren nicht erwünscht. Vor der Kamera wollte sich niemand zu den hohen Raten äussern. Warum nicht?
Der kaiserliche Schnitt
Ein Grund könnte sein, dass der geplante Kaiserschnitt seit einiger Zeit wesentlich kritischer betrachtet wird, als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Lange Zeit dachten Mediziner, eine Schnittentbindung bedeute zwar für die Mutter ein etwas höheres Risiko, sei aber für das Baby das Beste. Doch neue Studien zeigen ein anderes Bild: Während natürlich geborene Kinder den Geburtskanal passieren und ihr Immunsystem dabei von der ersten Sekunde an lernt, mit einer Vielzahl an Keimen umzugehen, werden Kaiserschnittkinder in das sterile Milieu des Operationssaals geboren.
Forscher finden immer mehr Indizien dafür, dass dies die Ursache für spätere Erkrankungen sein kann. Kaiserschnittkinder sind nachweislich anfälliger für Asthma, Allergien, Diabetes, Fettleibigkeit, Zölliakie und weitere Autoimmunerkrankungen.
Wunschkaiserschnitt liegt im Trend
Keine Frage, der Kaiserschnitt kann Leben retten, er hat die Müttersterblichkeit weltweit erheblich gesenkt. Doch die Indikationen für die einstige Notfall-OP sind heute vielfältiger denn je, und Ärzte führen die Schnittentbindung oft allzu bereitwillig aus. Auch der so genannte Wunschkaiserschnitt – eine Schnittentbindung ohne medizinischen Grund – liegt bei Frauen weltweit im Trend.
Genau das konnte unser Drehteam in Brasilien beobachten. Wir hatten Zugang zu einer Privatklinik, in der bis spät in die Nacht operiert wird – in fünf OPs gleichzeitig. Die Kinder kommen hier nahezu im Halbstundentakt zur Welt. «Geburten am Fliessband» – viel Zeit für Emotionen bleibt da nicht. Wir haben uns beim Drehen der Kaiserschnittszenen gefragt, ob die Frauen mit Wunschkaiserschnitt vorher wirklich wussten, worauf sie sich einlassen.
Lukratives Geschäftsmodell
Eine hohe Anzahl an Kaiserschnitten beschert Kliniken nicht nur mehr Umsatz, sondern sorgt auch für die effiziente Nutzung von Personal und OP-Räumen. So wird der Kaiserschnitt zum lukrativen Geschäftsmodell für weltweit agierende Privatklinikketten, die ihren Aktionären Gewinne bescheren sollen.
Geburt an einem Glückstag
Chinesische Ärzte akzeptieren den Wunschkaiserschnitt ohne grosses Nachfragen. «Eltern möchten, dass ihr Kind an einem Glückstag zur Welt kommt», sagt Tao Duan, Direktor der Geburts- und Kinderklinik in Shanghai.
Aber auch andere Überlegungen spielten eine Rolle: «Wenn das Geburtsdatum für Ende August oder Anfang September berechnet wurde, wünschen die Eltern die Geburt im August. Denn alle Kinder, die vor dem 1. September geboren werden, dürfen ein Jahr früher zur Schule gehen.»
Doch die Entscheidung für immer mehr Kaiserschnitte ist ein tiefer Eingriff in die Evolution des Menschen. Sie stellt Geburtsmedizin und Gesellschaft vor eine grosse Herausforderung. Ist der Trend zum Kaiserschnitt überhaupt noch aufzuhalten?