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Der gefährliche Irrglaube «Krebs-Diät»
Aus Puls vom 19.03.2018.
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Umstrittene Krebs-Diäten Den Krebs aushungern – geht das?

Einfach weniger, gar nichts oder ganz anders essen, und dadurch den Tumor aushungern. Für viele mag dies einleuchtend klingen. Die medizinischen Fakten zur Frage.

Nur rohes Obst und Gemüse essen oder als Smoothies trinken. Speisen mit rauen Mengen Kurkuma würzen. Knoblauch in jedes Gericht geben. Oder, aktuell besonders beliebt: Zucker komplett vom Speiseplan verbannen. All das soll laut einschlägigen Gesundheitsratgebern helfen, Krebs zu bekämpfen.

Aber: «Der Gedanke, man könnte Krebszellen so zum Absterben bringen ist naiv, weil der Krebs in der Lage ist, sich vom gesunden Körper das zu holen, was er braucht. Der Krebs ist damit das letzte, was wir aushungern – wir hungern davor uns selbst aus, wenn wir radikale Diäten durchführen», warnt Christoph Rochlitz, Onkologe am Universitätsspital Basel

Screenshot einer Internetseite über Ingwer.
Legende: Ingwer besser als Chemo? Einschlägige Gesundheitsratgeber wecken falsche Hoffnungen. SRF

Denn Krebspatienten müssen vor allem eines: essen – egal was, egal wann. Alles, was Appetit macht, ist erlaubt. Die grösste Gefahr für Krebspatienten ist nicht die falsche Ernährung, sondern zu wenig. Je nach Tumorart haben bis zu 80 Prozent der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose in vergleichsweise kurzer Zeit bereits zehn Prozent ihres früheren Gewichts verloren und gelten damit als mangelernährt.

Besser leben durch mehr Gewicht

Ein abgemagerter Körper hat der Krankheit und den belastenden Therapien jedoch weniger entgegenzusetzen. Es gilt also: Egal, ob Krebspatienten vorher schlank oder füllig waren, sie sollten ihr Gewicht unbedingt halten. Denn bösartige Tumoren setzen eine ganze Reihe an Veränderungen in Gang: Sie verursachen im Körper eine chronische Entzündung. Sie setzen die Immunabwehr ausser Gefecht. Und sie beeinflussen mit Botenstoffen, sogenannten Zytokinen, den gesamten Stoffwechsel.

In der Folge baut der Körper Fettgewebe ab und zersetzt das Eiweiss in der Muskulatur. Zudem beeinflussen die Zytokine auch die Hormone: Trotz abnehmendem Fett- und Muskelgewebe entstehen weder Appetit noch Hunger. Stattdessen fühlen sich Patienten häufig früher satt.

Viele plagen zudem Verstopfungen, was die Nahrungsaufnahme zusätzlich erschwert. Der sogenannte katabole Zustand entsteht: Der Körper baut mehr Muskel- und Fettmasse ab, als er neu bilden kann. Schmerzen und Nebenwirkungen der Therapien wie Übelkeit oder Entzündungen in Mund und Rachen tun ihr Übriges.

Ausgemergelte Patienten sind schwerer therapierbar

Screenshot einer Artikels über Krebsdiäten.
Legende: Mit 100 Lebensmitteln den Krebs wegessen? Das wird leider so nicht funktionieren. SRF

Das Zusammenspiel all dieser Faktoren ist eine belastende Situation: Der Krebspatient möchte mehr essen, kann es aber beim besten Willen nicht. Etwa die Hälfte der Krebspatienten verliert im Verlauf der Erkrankung ungewollt an Fett- und Muskelmasse und damit an Körpergewicht.

Auf all das noch eine strapaziöse Fastenkur daraufzusetzen, löst bei Ärzten in den meisten Fällen allenfalls Kopfschütteln aus. «Es ist aus meiner Sicht völlig aussichtlos, mit so einer Diät zu versuchen, den Tumor zu beseitigen oder auch nur zum Stillstand zu bringen. Wenn man beispielsweise nur Rohkost zu sich nimmt hat man zwar einiges an Vitaminen, aber keine Proteine oder andere Stoffe, die wichtig sind. Das lässt das Leben auch in puncto Lebensqualität nur schlechter werden», sagt Christoph Rochlitz – und auch hinsichtlich der Lebenserwartung. Denn ausgemergelte Patienten sprechen oft schlechter auf die Krebstherapien an. Die körperliche Auszehrung ist die zweithäufigste Todesursache bei Krebs.

Eiweiss und Fett statt Rohkost und Fasten

Glücklicherweise ist inzwischen aber einiges über eine sinnvolle Ernährung bei Krebs bekannt. Man weiss heute beispielsweise, dass Muskeln und Leber von Tumorpatienten Glucose, also Zucker, nicht ausreichend verwerten können. Die Energie, die der Körper so dringend bräuchte, verpufft einfach. Deshalb macht es Sinn, aufs Fett zu fokussieren: Muskelzellen von Krebspatienten können Fettsäuren wesentlich besser aufnehmen und speichern als gesunde Menschen. 50 Prozent des Tagesbedarfs an Energie sollten aus Fetten stammen, aus Avocados, Nüssen, Fisch oder Ölen beispielsweise.

Und da auch der Eiweissstoffwechsel durch Tumoren stark erhöht ist, brauchen Krebspatienten mehr Proteine als Gesunde: nämlich 1.2 bis 1.5 Gramm pro Kilo Körpergewicht pro Tag. Zum Vergleich: Ein Stück Fleisch in Handtellergrösse enthält etwa 20 Gramm Eiweiss. Als Richtlinie schlagen Ernährungsberaterinnen vor, täglich fünfmal eine solche Menge Eiweiss zu essen – neben Fleisch auch Milchprodukte.

Gesundhungern sollten sich Krebspatienten also nicht. Sich ausgewogen zu ernähren, ist aber immer eine gute Wahl: Daten belegen, dass Brustkrebspatientinnen nach erfolgreicher Krebstherapie seltener einen Rückfall bekommen, wenn sie auf gesundes Essen achten und sich regelmässig bewegen.

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