Auf der Bühne des rumänischen Nationaltheaters in Bukarest steht Alina Serban als zehnjährige Alina Serban. Das Mädchen fühlt sich als Rumänin. Ausser wenn sie hört, wie wieder einmal einer zischt: «Sie ist keine Rumänin. Sie ist Zigeunerin.»
Später im autobiografischen Stück – Alinas Familie hat inzwischen die Wohnung verloren und lebt in einer Lehmhütte ohne fliessendes Wasser – schreit ein anderer: «Wir haben eine Krähe in der Klasse.»
«Das Schmerzhafteste an Diskriminierung ist der Selbsthass»
Alina verdrischt den Jungen und trägt doch selbst Wunden davon. Im Interview sagt die 36-jährige Regisseurin und Schauspielerin: «Das Schmerzhafteste an Diskriminierung ist, dass du diese negative Energie in dich aufnimmst. Sie wird Teil von dir. Sie verwandelt sich in Selbsthass. Und der ist hässlicher und schlimmer als das, was von aussen an dich herangetragen wird.»
In Alina Serbans «Das beste Kind der Welt» geht es ziemlich lange darum, wie sie als Teenager versucht, zu verheimlichen, dass sie Roma ist und in grosser Armut lebt. Doch folgen sich die Katastrophen in ihrem Leben so dicht, dass das Aufrechterhalten einer Fassade unmöglich wird: Die Mutter kommt ins Gefängnis. Die Lehmhütte wird abgerissen. Der Vater stirbt. Alina kommt in ein Heim. «Ich werde das beste Kind der Welt sein», verspricht die Alina auf der Bühne ihrer Mutter.
Alina macht die Matur. Sie schafft die Aufnahmeprüfung in die Schauspielschule. Sofort ist da auch jemand, der fragt, ob sie einen speziellen Platz für Roma bekommen habe. Als ob sie nicht Roma und ein Schauspieltalent sein könnte. «Das trübte die Freude.»
«Ich musste zurück nach Rumänien»
Später studiert Alina Serban in London und New York, gewinnt den deutschen Schauspielpreis. Sie könnte im Ausland bleiben, wo sie nicht als Roma wahrgenommen wird. Und doch kommt sie zurück nach Rumänien. «Ich musste zurück, um mich mit meiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zudem wollte ich mich mit der Geschichte der Roma-Sklaverei in Rumänien beschäftigen.»
Serban ist überzeugt, diese Geschichte wirke bis heute nach. Mittlerweile haben die Roma zwar die gleichen Rechte wie andere in Rumänien. Aber sie sind im Schnitt ärmer, schlechter ausgebildet und sie haben eine zehn Jahre tiefere Lebenserwartung.
Immerhin, sagt Serban, es gebe Fortschritte: «Es gibt ein grösseres Bewusstsein. Die Leute kommen heute hier ins Nationaltheater, um eine Roma-Geschichte zu sehen. Das wäre vor 15 Jahren noch unmöglich gewesen. Ich habe Raum erobert für die Roma.»
«Wieso könnt ihr Roma nicht als euresgleichen sehen?»
Und doch: Die Vorurteile gegenüber Roma seien nach wie vor allgegenwärtig. Die Diskriminierung von Roma ist die letzte Form von Rassismus, die akzeptiert werde. Und zwar bis weit in sogenannt linke und woke Kreise hinein, sagt Alina Serban.
Die Kernfrage ihrer Arbeit umreisst die Regisseurin und Schauspielerin so: «Wieso könnt ihr Roma nicht als euresgleichen sehen?» Die Alina auf der Bühne kommt zum Schluss: Ich bin das beste Kind der Welt – und zwar schon seit Geburt.