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Juso-Mitglieder werben im März auf dem Bundesplatz für 1:12-Initiative.
Legende: Am 24. November 2013 wird das Volk über die 1:12-Initiative der Juso abstimmen. Keystone

1:12-Initiative Wie gross ist das Problem der Lohnschere in der Schweiz?

Hohe Kadersaläre sorgen regelmässig für rote Köpfe. Der Gewerkschaftsbund sieht die hohen Boni als Ursache für die grosse Kluft zwischen tiefen und hohen Löhnen. Doch wie steht es wirklich um die ominöse Lohnschere, die auch in der Schweiz immer weiter aufgehen soll?

Bei der 1:12-Initiative geht es um den gerechten Lohn. Aber welcher Lohn ist gerecht, und ab welcher Höhe ist eine Vergütung unfair? Eine Antwort darauf ist auch für die Wissenschaft schwierig. Man kann aber schauen, wie sich die Löhne relativ zueinander entwickelt haben: Ob die hohen Löhne stärker gestiegen sind als die mittleren oder die tiefen.

Doch selbst das ist gar nicht so einfach. Denn die statistischen Quellen sind sehr unterschiedlich und ihre Aussagekraft zum Teil begrenzt, wie Wirtschaftsprofessor Reto Föllmi von der Hochschule St. Gallen erklärt.

Trotzdem zeigt sich nach seinen Worten eine unbestrittene Entwicklung: Es gibt eine sehr gleiche Lohnverteilung mit guten Löhnen in breiten Schichten der Schweiz. Allerdings haben die Toplöhne in den letzten 20 Jahren stärker zugenommen. Und um genau diese Entwicklung geht es in der aktuellen 1:12-Abstimmung. Um die Löhne ganz oben.

Lage vergleichsweise stabil

Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass in der Schweiz erfreulicherweise unten viel getan werde und viel Stabilität herrsche, betont der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann von der Universität Zürich. Als Beispiel nennt er angelsächsische Länder, wo das unterste Fünftel enorm an Boden verloren habe. «Und gerade das haben wir nicht in der Schweiz», sagt Straumann.

Den Schweizerinnen und Schweizern geht es im Allgemeinen gut. Die Löhne sind im Vergleich zum Ausland hoch. Kaufkraftmässig stehen wir mit an der Spitze.

Diese Stabilität bestätigt auch Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Tatsächlich sei die Lage in der Schweiz nicht so katastrophal wie beispielsweise in den USA. Das hänge auch mit dem aktiven Kampf der Gewerkschaften gegen Tieflöhne zusammen.

Topsaläre gesamtwirtschaftlich nicht entscheidend

Ganz oben liegt also das Problem. Genauso, wie es die Initianten in die Diskussion gebracht haben. Dort oben sind laut einer Studie der Konjunkturforschungsstelle KOF/ETH gut 4000 Spitzenmanager mit einer Gesamtlohnsumme von rund 1,5 Milliarden Franken. Sie halten die geforderte 1:12-Lohnregel nicht ein.

Laut Straumann ist das rein ökonomisch aufs Ganze gerechnet gar nicht so dramatisch: «Es beeinflusst die ganze grosse Verteilung nicht entscheidend.»

Gesamtwirtschaftlich seien die 1,5 Milliarden tatsächlich nicht so viel, bestätigt Lampart und ergänzt: «Es sind einfach wenige Leute, die so viel verdient haben.» Und diese Millionen-Saläre ärgerten viele. Da nütze es auch nichts, dass die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt gehöre, sagt Lampart.

Steigendes Gefühl von Ungerechtigkeit

Es ist also vor allem eine gefühlte Ungerechtigkeit – ausgelöst durch diese krassen Ausreisser nach oben. Es handelt sich zugleich um ein relativ neues Phänomen: Erst seit gut 20 Jahren wird die Entwicklung oben immer steiler. Die Exzesse wurden aus den angelsächsischen Ländern quasi importiert – samt den Spitzenmanagern bei vielen Schweizer Grosskonzernen.

Mit dieser Globalisierung der Spitzensaläre verbunden ist aber auch eine stärkere Transparenz. Heute weiss man, was die Chefs der Pharmafirmen, der Banken oder der Versicherungen bekommen.

Das spiegelt sich laut Lampart auch in der aktuellen Diskussion: «Viele kommen mit dem Lohn gar nicht mehr über die Runden, andere haben ein Millionensalär. Das muss man in Ordnung bringen. Das treibt die Bevölkerung um.»

Die Reichen und das Gemeinwohl

Auch Wirtschaftshistoriker Straumann sieht dieses Problem – eine Art Entkoppelung zwischen der Wirtschaftselite und der Bevölkerung. Dabei sei es in der Schweiz wirklich wichtig, sich um die Gemeinschaft zu kümmern, wenn es einem gut gehe.

«Da hat wahrscheinlich der eine oder andere das Gefühl, dass sich das oberste Prozent nicht mehr angemessen um die Gemeinschaft und die Politik und das Land kümmert. Und das, so glaube ich, ist wohl explosiver als die nackten Zahlen», sagt Straumann.

Die lohnmässigen Überflieger der multinationalen Unternehmen untergraben also den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und gleichzeitig ist das Gefühl immer weiter verbreitet, die Spitzenmanager seien ihre Millionensaläre nicht wert.

brut; muei

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