Die Szenen, die sich am 22. Februar 2017 an der Effingerstrasse 29 in Bern abspielten, waren denkwürdig: Gegen 20 Besetzerinnen und Besetzer des Kollektivs «Oh du fröhliche» hatten sich in den oberen Stockwerken des Gebäudes verschanzt. Zugänge hatten sie verbarrikadiert, ein Arsenal an Gegenständen lag zur Wehr gegen die Polizei bereit. Die Anklageschrift listet auf: Feuerwerksbatterien, Pfeffersprays, Sturmhauben, Messer, Funkgeräte, Metallspeer, selbstgebauter Flammenwerfer.
Die Polizei stürmte das Haus frühmorgens, gestützt auf einen Strafantrag der Besitzerin, der Bundesverwaltung. Die Zusammenstösse waren heftig: Die Hausbesetzerinnen und -besetzer bewarfen die Polizisten mit schweren Gegenständen. Im Treppenhaus zündeten sie Feuerwerkskörper und versprühten Farbe und Flüssigkeiten. Der Polizeitrupp antwortete mit Reizgas und Gummischrot.
Jetzt beginnt der Prozess
Sechzehn Beteiligte stehen seit Montag in Bern vor dem Regionalgericht. Ihnen wird Hausfriedensbruch und Gewalt gegen die Behörden und Beamte vorgeworfen. Die geforderten Strafen reichen von Geldstrafen bis zu einem Jahr Gefängnis.
Zum Prozessauftakt erschienen fast alle Beschuldigten vor der Einzelrichterin in Bern – was erstaunlich ist, denn eine Pflicht, an diesem Tag zu erscheinen, gab es nicht. Doch die Besetzerszene nimmt den Prozess zum Anlass, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen: Den beschränkten Wohnraum und die fehlenden Freiräume.
Über das Wochenende und auch zu Prozessauftakt gab es Solidaritätsaktionen in der Stadt Bern: Mit Demonstrationen, Versammlungen und Scheinbesetzungen hielt die Besetzerszene die Polizei auf Trab.
Der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) findet für Solidaritätsbekundungen mit dem Kollektiv kein Verständnis: «Ich glaube, Solidarität ist hier falsch am Platz. Die Besetzer von der Effingerstrasse haben sich der Räumung mit massiver Gewalt widersetzt. Es flogen grosse Gegenstände aus den Fenstern. Die Einsatzkräfte hätten mit schweren Verletzungen rechnen müssen, wenn sie davon getroffen worden wären.»
Vor Gericht schilderten drei Polizisten und ein Feuerwehrmann, wie es ihnen bei der Räumung ergangen ist. «Eine solche Gewaltbereitschaft habe ich in 38 Berufsjahren nie erlebt», sagte etwa ein Feuerwehrmann. Und ein Polizist merkte an: «Es war klar, dass man Einsatzkräfte verletzen wollte.»
Tatsächlich haben drei Beamte bleibende Schäden davongetragen. Die Knallkörper, die in ihrer Nähe explodierten, hinterliessen einen Tinnitus. Sie haben deshalb Anzeige eingereicht. Doch die sechzehn Anwälte der Beschuldigten liessen sich davon nicht beeindrucken. Sie löcherten die Polizisten im Gerichtssaal regelrecht auf die Frage hin, ob der Einsatz verhältnismässig gewesen sei.
In den kommenden Tagen werden nun die Beschuldigten befragt. Das Urteil will die Richterin am 17. Juni verkünden.