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300 Tage Bundesrat Cassis Mit viel Elan in manchen Fettnapf getreten

  • Bundesrat Iganzio Cassis hat am Tag seiner Wahl versprochen, in der Europa-Politik den Reset-Knopf zu drücken.
  • In den ersten zehn Monaten als Aussenminister hat er diverse Debatten angeheizt – ist dabei aber in das eine oder andere Fettnäpfchen getreten.
  • Parlamentarier respektieren seinen politischen Elan – der indes bisweilen über das Ziel hinausschiesse.

Um eine Zwischenbilanz unter seine ersten 300 Tage als Bundesrat zu ziehen, wählte Ignazio Cassis einen illustren Rahmen: Bei der Veranstaltung einer noblen Anwaltskanzlei wollte er sich in der Rolle als liberaler Tessiner Bundesrat erklären. Und liess dabei durchblicken, dass er sich nicht immer richtig verstanden fühlt.

Offenbar eckt man, wenn man etwas laut sagt.
Autor: Ignazio Cassis Bundesrat

«Ich bin transparent und sage offen: Ich führe mein Departement entlang liberaler Prinzipien. Wenn die anderen Bundesräte nicht einverstanden sind, können sie eingreifen.»

Noch am Tag seiner Wahl hat Cassis versprochen, er werde in der Europa-Politik den Reset-Knopf drücken . Allein, die nächsten 100 Tage bleibt er auf der Suche nach den berühmten Drückern:

Chronologie der Fettnäpfe

Ignazio Cassis nimmt sich vor, die Europa-Poloitik besser zu erklären – etwa im Januar mit seinem Bauklötzli-Vortrag in Lugano. Der SP-Präsident hat ihn hierauf als Praktikanten in der Aussenpolitik bezeichnet.
Im Mai 2018 reist Cassis nach Jordanien, wo er das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge UNRWA als am Palästina-Konflikt mitverantwortlich kritisiert. Die UNO reagiert irrtiert. Bundesrat Berset rüffelt ihn, und Cassis muss auf die alte Position des Bundesrates zurückrudern.
Im Juni stellt der Aussenminister die roten Linien des Bundesrates in den Verhandlungen mit der EU zur Debatte. «Wir – sowohl die EU wie die Schweiz – müssen bereit sein, über den eigenen Schatten zu springen und kreative Lösungen zu finden.» In der Folge verlassen die
Gewerkschaften den Verhandlungstisch. Das Rahmenabkommen mit der EU rückt in weite Ferne.

Immer wieder sorgt Cassis mit überraschenden Äusserungen für grossen Wirbel. Unbedachte Anfängerfehler scheinen das nicht zu sein. Vielleicht das lateinische Temperament. Auf jeden Fall sind die Debatten gewollt, zur Meinungsbildung, wie Cassis betont: «Jede Debatte, noch so konfus, mit noch so verschiedenen unterschiedlichen Wahrheiten, die zirkulieren. Zu Beginn weiss man nicht genau: Was ist jetzt wirklich wahr. Habe ich es richtig verstanden? Falsch verstanden? Wichtig ist, dass man sich mit dem Thema auseinandersetzt. Früher oder später kommen dann die Wahrheiten dann schon an die Oberfläche.»

Mir plaudert der Herr Cassis manchmal ein bisschen zu viel.
Autor: Martin Naef Nationalrat (SP/ZH)

Inzwischen sei Bundesrat Cassis in seinem Amt zwar angekommen, sagt Nationalrat Martin Naef (SP/ZH). Dass er mehr kommuniziert als sein Vorgänger, sei auch durchaus positiv. «Die andere Frage ist: Wie macht er das? Da hat es – wir wissen das alle – gewisse Unfällle oder auch vorsätzliche Unfälle gegeben. Er hat beispielsweise mit einer unbedarften Äusserungen über den Sommer die ganze überflüssige Lohnschutzdebatte entfacht. Wir haben es gesehen in der Israel-Palästina-Frage. Also mir plaudert der Herr Cassis manchmal ein bisschen zu viel.»

Die Zügel hat er noch nicht im Griff.
Autor: Roland Rino Büchel Nationalrat (SVP/SG)

Auch die Bürgerlichen Parteien sind mit den ersten 10 Monaten von Bundesrat Cassis nicht wunschlos glücklich. Nationalrat Roland Rino Büchel (SVP/SG): «Man spürt einen Kurswechsel, vor allem, wenn wir in den Geschäften im Gesamtbundesrat reden. Im Departement muss er sich klar noch stärker durchsetzen. Da habe ich die Hoffnung, dass das passiert. Er ist kein Praktikant, wie die Linken sagen. Aber definitiv hat er die Zügel noch nicht im Griff.»

Er hat Diskussionen in Gang gebracht
Autor: Elisabeth Schneider-Schneiter Nationalrätin (CVP/BL)

Etwas gewogener noch die Bewertung von den Christdemokraten: «Er ist natürlich sehr offensiv gewesen«, so Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL). «Schon bei seinem Amtsantritt hat er vom Reset-Knopf gesprochen. Er hat gewisse Fragen auf den Tisch gebracht, Diskussionen in Gang gebracht. Das ist ein guter Ansatz, wenn man davon ausgeht, dass das Europa-Dossier seit 10 Jahren brachliegt.»

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