Donnerstagabend, Mai 1985: Im Hallenbad Uster ZH sind rund 40 Gäste. Die Juniorinnen und Junioren des Schwimmclubs absolvieren ein Intervalltraining. «Ich machte gerade am Beckenrand Pause», erinnert sich der damals 18-jährige Thomas Hildebrand.
«Dann sah ich meinen Trainer und wusste sofort: Es geht um Leben und Tod.» Die Decke gibt nach und legt sich wie ein Deckel über das Becken. Der Trainer ruft seinen Schützlingen zu, abzutauchen. Thomas aber hievt sich aus dem Wasser und rettet sich unter einen Balkon. Was er danach antrifft, ist ein anderer Ort.
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Bild 1 von 5. Beim Deckeneinsturz im Hallenbad Uster verloren im Mai 1985 zwölf Menschen das Leben. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 5. Die rund 200 Tonnen schwere Decke senkte sich ab, versiegelte das Bassin praktisch restlos und begrub so zahlreiche Schwimmer. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 5. Ursache der Katastrophe waren Aufhängestäbe, die durchgerostet waren, oberflächlich aber nur wenig Korrosionshinweise zeigten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 5. Erbaut wurde das Hallenbad Buchholz Anfang der 1970er-Jahre. Bildquelle: Stadtarchiv und Kläui-Bibliothek Uster.
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Bild 5 von 5. Für viele Schwimmclubs wurde es wegen optimaler Voraussetzungen zur Trainingsheimat. Bildquelle: Stadtarchiv und Kläui-Bibliothek Uster / Foto Müller.
«Es war totenstill, staubig, niemand da. Und wo früher Wasser war, war nur noch Geröll», so Hildebrand. Der Juniorenschwimmer handelt, findet eine Tauchflasche im Bademeisterraum und beginnt, nach Verschütteten zu suchen.
Es war totenstill, staubig, niemand da. Und wo früher Wasser war, war nur noch Geröll.
Bei den Sprungböcken liegt die Decke nicht überall auf dem Wasser. Dort schaffen es einige selbst hinaus. Hildebrand birgt zwei seiner Freunde, beide sind bereits tot.
Zufälle entscheiden über Leben und Tod
Zu den Einsatzkräften vor Ort gehört Walter Rufer. Er ist am Schluss der Einzige, der sich ins dunkle Wasser traut. Sein Kollege muss aufgeben. «Er weinte und sagte, er könne nicht mehr herunter.»
Die Bergungsarbeiten dauern die ganze Nacht. Am Morgen danach die traurige Gewissheit: Zwölf Menschen sind beim Unglück gestorben.
Die Tragödie ist in Uster heute noch präsent – mit Geschichten von Zufällen und Entscheiden, die Leben gerettet oder Familien zerstört haben. «Ein Vater ging mit dem Sohn zur Toilette. Dann kam die Decke. Seine Frau und die anderen Kinder waren im Wasser», erinnert sich Rufer.
Und Claudia Bosli-Töndury, heute Schwimmlehrerin im Hallenbad, erinnert sich. «Meine Nachbarin ging immer mit einer Freundin schwimmen. An diesem Tag war sie krank. Die Freundin ging allein und kam ums Leben.»
Fataler Entscheid bei Auswahl des Baumaterials
Es beginnt die Suche nach der Unglücksursache. Diese wird Wochen später bekannt gegeben. Ihren Anfang hat sie bereits Jahre zuvor.
Mit dem Bau des Hallenbads Uster wird Anfang der 1970er-Jahre Neuland betreten. Erstmals wird eine Betondecke unter ein Flachdach gehängt. Und auch die Bügel, die die Decke halten, sind speziell.
Sie sind aus Chromnickelstahl, vermeintlich rostfrei. Dass dies in ständig feuchter und chlorhaltiger Luft anders ist und die Stäbe durchrosten und reissen können, wissen die Verantwortlichen nicht.
Im Zuge der Aufarbeitung des Unglücks werden drei Fachleute zu bedingten Gefängnisstrafen verurteilt. Aber nicht wegen des Baus, sondern weil sie Warnsignale nicht ernst genommen haben.
Ein Jahr vor dem Einsturz hatte ein Handwerker einen gerissenen Bügel entdeckt. Auf weiteren Bügeln zeigten sich kleine Flecken.
Aber Architekt und Ingenieurbüro meldeten der Stadt, dass alles in Ordnung sei. Hätten sie anders gehandelt, wäre es nicht zum Einsturz gekommen.
Erinnerungsstücke als Glücksbringer
Am Tag nach der Katastrophe holt Juniorenschwimmer Thomas Hildebrand im Hallenbad seine Schwimmtasche. «Ich habe darin einen Zettel gefunden mit meinen Schwimmzeiten. Der ist heute noch in meinem Portemonnaie, als Glücksbringer.»
Hildebrand weiss: Er hat grosses Glück und spricht mit Blick auf die Katastrophe von vierzig geschenkten Jahren.