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7.7 Millionen Dokumente «Der Nachrichtendienst soll aufhören, Presseschauen zu erfassen»

Der Schweizer Nachrichtendienst (NDB) geht beim Datensammeln zu weit – und verletzt dabei das Gesetz. Zu dem Schluss kommt die parlamentarische Aufsicht über den Nachrichtendienst, die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Heute hat sie ihren Jahresbericht veröffentlicht. Darin liest man von grundlegenden Mängeln. Handelt es sich um eine zweite Fichenaffäre? SRF-Bundeshausredaktor Gaudenz Wacker hat sich die Vorwürfe angeschaut.

Gaudenz Wacker

Bundeshausredaktor, SRF

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Gaudenz Wacker ist SRF-Bundeshausredaktor. Er arbeitete von 2006 bis 2014 beim Regionaljournal Basel, dort zuletzt als Korrespondent für Radio SRF. Er hat in Basel studiert und arbeitete vor seiner Tätigkeit bei SRF an der Universität Basel und für lokale Medien.

SRF News: Im Jahresbericht der Geschäftsprüfungsdelegation ist die Rede von schwerwiegenden Mängeln. Was ist damit genau gemeint?

Gaudenz Wacker: Der Nachrichtendienst sammelt Informationen zu Politikern und Politikerinnen oder politischen Organisationen. Für Schlagzeilen hat letzten Herbst der Fall von alt SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen gesorgt. Ihr Name komme 70 Mal in den Datenbanken des Nachrichtendienstes vor, erzählte sie der «Sonntagszeitung». Die ehemalige Politikerin sprach daher von einer Sammelwut und fühlte sich an die Fichenaffäre erinnert.

Der NDB habe Zeitungsartikel und Berichte im Internet gesammelt, die er nicht hätte sammeln dürfen.

Daten sammelt der Nachrichtendienst aber auch über andere Politiker. Der Verein grundrechte.ch hat daher eine Meldung gemacht. Die GPDel kommt nun zum Schluss, der NDB habe Zeitungsartikel und Berichte im Internet gesammelt, die er nicht hätte sammeln dürfen, und die er eigentlich gar nicht brauche, geschweige denn in dieser Summe vernünftig bearbeiten könne. Von 7.7 Millionen Dokumenten ist die Rede.

Was ist daran problematisch, wenn der NDB Zeitungsberichte sammelt?

Das Gesetz verbietet dem Nachrichtendienst, einfach so Informationen zur politischen Betätigung von Personen zu sammeln. Dies, damit sich eine Fichenaffäre wie jene in den Achtzigerjahren nicht wiederholt. Die GPDel stellt sich daher auf den Standpunkt: Wenn der Nachrichtendienst Zeitungsartikel sammelt, in denen Politiker erwähnt werden, dann verstösst er gegen das Gesetz. Die GPDel stützt sich dabei nach eigenen Angaben auf Beurteilungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesamts für Justiz.

Was sagt der Nachrichtendienst des Bundes dazu?

Er schreibt auf Anfrage, er sei grundsätzlich von der Rechtmässigkeit seiner Datenbearbeitung überzeugt, aber offen für Verbesserungsvorschläge. Laut den Schilderungen der GPDel handelt der Nachrichtendienst nach einer internen Weisung. Der Nachrichtendienst darf demnach sehr wohl öffentliche Dokumente wie Zeitungsartikel sammeln, zum Beispiel über Terrorismus.

Man ist sich uneins bei der Auslegung des Nachrichtendienstgesetzes.

Und wenn dann in diesen Artikeln halt am Rande auch noch der Name eines Politikers drinsteht, dann geht das gemäss dieser Weisung des Nachrichtendienstes in Ordnung. Man ist sich also uneins bei der Auslegung des Nachrichtendienstgesetzes. Auf der einen Seite steht der Nachrichtendienst und ihm gegenüber stehen die GPDel, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Justiz.

Der Nachrichtendienst geht beim Datensammeln also gemäss GPDel zu weit. Ändert er jetzt seine Praxis?

Offenbar hat er mittlerweile über drei Millionen ältere Zeitungsartikel gelöscht, schreibt die GPDel. Wie es weitergeht, ist offen. Die Geschäftsprüfungsdelegation hat dem Verteidigungsdepartement 20 konkrete Massnahmen vorgeschlagen, darunter etwa jene, dass der Nachrichtendienst damit aufhören soll, Presseschauen zu erfassen. Und Verteidigungsministerin Viola Amherd hat der GPDel auch schon erklärt, sie sei bereit, die grosse Mehrheit der Empfehlungen umzusetzen.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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